Zeitschrift

Fußball und Politik


 

Heft 1 2006

Hrsg: LpB

 



 

Inhaltsverzeichnis

  Der Mann, der den Fussball nach Deutschland brachte
 

Walther Bensemann: Kosmopolit des Fußballs

  Bernd-M. Beyer

 


Die Geschichte des deutschen Fußballs ist mitgeprägt durch innere politische Konflikte, die ihre Dynamik aus allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zogen. Bis zum Beginn des Nationalsozialismus symbolisiert die Person Walther Bensemann interessante Facetten dieser Geschichte. Er war nicht nur der wichtigste Fußballpionier in Süddeutschland, sondern stand zugleich für ein kosmopolitisches Sportverständnis, das zunehmend in Konflikt mit deutsch-nationalen Strömungen geriet und dem die NS-Diktatur ein brutales Ende bereitete. Zugleich verweist die jüdische Herkunft Bensemanns auf den gewichtigen Beitrag, den Juden bei der Popularisierung des Fußballs in Mitteleuropa bis in die 1930er-Jahre leisteten.

 

Kindheit und Jugend eines Kosmopoliten

Obwohl aus Berlin stammend, war Walther Bensemann maßgeblich daran beteiligt, dass in Baden und Württemberg frühe Hochburgen des deutschen Fußballs entstanden. Sein Vater Berthold war Bankier, seine Mutter Eugenie entstammte vermutlich einer begüterten Familie aus Breslau. Ihr Sohn Walter (das "h" im Vornamen legte er sich später eigenmächtig zu) wurde in eine Zeit hineingeboren, in der die Emanzipation der Juden im Deutschen Reich augenscheinlich große Fortschritte machte. Mit der Reichsgründung 1871 waren nahezu alle gesetzlichen Diskriminierungen gefallen, und in der Dynamik der industriellen Revolution hatten es nicht wenige jüdische Bürger zu Wohlstand und wirtschaftlicher Macht gebracht. Gesellschaftliche Anerkennung war damit nur bedingt verbunden, obwohl ein Teil der jüdischen Gemeinschaft sich bemühte, durch eine betont säkulare Haltung und dem Bekenntnis zum "Deutsch-Sein" die latente Diskriminierung zu durchbrechen.

 

 

WALTHER BENSEMANN ALS HERAUSGEBER DES „KICKER“. 

    Verlag Die Werkstatt, Göttingen

 

Wahrscheinlich wuchs Walther Bensemann in einer weltoffenen, intellektuell wie kulturell anregenden Atmosphäre auf; seine Mutter soll Musikabende im heimischen Salon organisiert haben, und die verwandtschaftlichen Kontakte der Familie reichten bis nach Schottland. Die kosmopolitische Einstellung seiner Eltern wird schließlich durch die Tatsache unterstrichen, dass sie ihren Sohn im Alter von etwa zehn Jahren in den französischsprachigen Teil der Schweiz schickten, wo er in Montreux eine englische Schule besuchte.1

 

Erste Bekanntschaft mit dem Lederball

Vermutlich schon hier entwickelte sich Bensemanns Begeisterung für alles, was er für typisch Englisch hielt: das Ideal des Fair Play, die vorurteilsfreie Offenheit eines Weltenbürgers, die Selbstdisziplin und Philanthropie des Gentleman, die Erziehung zum "sportsman". Und er lernte den ihm bis dahin unbekannten Fußball kennen. Die Tatsache, dass die Schweizer Privatschulen seinerzeit stark von englischen Upperclass-Zöglingen frequentiert wurden, hatte das Land zum ersten kontinentalen Einfallstor des neuen Sports gemacht. 1883 sah Bensemann zum ersten Mal ein Football-Match englischer Mitschüler, die allerdings Rugby praktizierten. Später setzte sich Soccer durch, an dem sich auch der junge Deutsche versuchte. 1887, im Alter von 14 Jahren, gründete Bensemann gemeinsam mit englischen Mitschülern den Football Club Montreux und stellte sich stolz als dessen "Sekretär" vor.

 

Pionier- und Missionsarbeit in Karlsruhe

Als Walther zwei Jahre später auf ein Gymnasium in Karlsruhe wechselte, war er offensichtlich entschlossen, auch die deutschen Schüler für den neuen Sport zu gewinnen. Er begann eine etwa zehn Jahre währende Missionsarbeit, in der er mit Tatendrang, Sprachgewandtheit, charmanter Großspurigkeit und Streitlust zum wichtigsten Fußballpionier südlich des Mains avancierte. Man sah ihn - zunächst als Schüler, später als ruhelos umherziehenden Studenten - als Vereinsgründer und -förderer unter anderem in Straßburg, Baden-Baden, Mannheim, Freiburg, Gießen, Würzburg, München (bei einem Vorläufer des heutigen FC Bayern) und Frankfurt (bei den Frankfurter Kickers, einem Vorläufer der heutigen Eintracht). Prägend war sein Wirken aber vor allem in Karlsruhe, wo er 1889 mit dem International Football Club zunächst den ersten süddeutschen Fußballverein überhaupt gründete und zwei Jahre später mit dem Karlsruher FV den für lange Zeit erfolgreichsten.

 

 

DIE KARLSRUHER KICKERS WAREN EIN VON BENSEMANN ZUSAMMENGESTELLTES AUSWAHLTEAM, DAS IN SÜDDEUTSCHLAND LEGENDÄREN RUF GENOSS. EINIGE BEKANNTE VEREINE, DARUNTER DIE STUTTGARTER KICKERS, BENANNTEN SICH NACH DIESEM VORBILD. DAS FOTO VON 1894 ZEIGT IN DER MITTE WALTHER BENSEMANN (MIT BALL) UND GANZ LINKS SEINEN FREUND IVO SCHRICKER, DEN SPÄTEREN FIFA-GENERALSEKRETÄR.

Verlag Die Werkstatt, Göttingen

 

Über seinen ersten Auftritt in Karlsruhe berichtete Bensemann später: "Im September 1889 ließ ich aus der Schweiz einen Fußball kommen; der Ball wurde morgens vor der Schule aufgeblasen und in der 10-Uhr-Pause musste bereits ein Fenster des Gymnasiums daran glauben. Der im Schulhof wandelnde Professor du Jour (…) hielt eine Karzerstrafe für angemessen; allein Direktor Wendt erklärte sich mit der Bezahlung des Fensters einverstanden und schickte uns auf den kleinen Exerzierplatz, Engländerplatz genannt."2 Freilich kam es immer wieder zu Konflikten mit Karlsruher Bürgern, die sich belästigt fühlten oder sich am gewagten Outfit der jungen Sportler störten; der örtliche Schutzmann wurde eingeschaltet, die Schule drohte wegen des "ungebührlichen Verhaltens" mit Strafen, und Bensemann galt gemeinhin als "der Engländer in der Narrentracht".

 

Der Siegeszug des runden Leders

Dies waren Ressentiments, mit denen die junge Fußballbewegung im gesamten Deutschen Reich zu kämpfen hatte; vor allem die deutsch-national eingestellte Turnerschaft wehrte sich gegen den vermeintlich schädlichen Einfluss der "englischen Modetorheit" auf die Jugend, beschwor die Gefahren für vaterländischen Geist, Disziplin und Gesundheit. Den Siegeszug des runden Leders vor allem bei jungen Männern aus dem Bürgertum konnte sie damit nicht aufhalten. Zumal große Teile der Turnerschaft antisemitischen Tendenzen anhingen, begeisterten sich insbesondere auch kosmopolitisch sozialisierte Jugendliche aus jüdischem Hause für den Fußballsport. Aus ihren Reihen sollten bedeutende Spieler, Funktionäre, Trainer und Mäzene hervorgehen. Als der Karlsruher FV beispielsweise 1910 Deutscher Meister wurde, zählten die beiden jüdischen Nationalspieler Julius Hirsch (1945 im KZ gestorben) und Gottfried Fuchs (1937 emigriert) zu den Stützen der Mannschaft.3

 

Der Grenzüberschreiter

Bensemann selbst verband seine Werbung für den Sport mit politischen und ethischen Zielsetzungen. Es gehe darum, den "klaffenden Gegensatz der Stände" zu mildern, es gehe um sozialpolitische Aufgaben, und es gehe um "das Bemühen, die Begriffe der Freiheit, der Toleranz, der Gerechtigkeit im inneren Sportleben, des Nationalgefühls ohne chauvinistischen Beigeschmack dem Auslande gegenüber zu wahren."4 Vor allem das Potenzial des Fußballs als internationales Spiel beflügelte seine Phantasie. In einer für ihn typischen Mischung aus persönlichem Ehrgeiz und politischer Utopie plante er ein Auswahlteam, das auf dem europäischen Festland einen grenzüberschreitenden Sportverkehr herstellen sollte.

Zwar gelang es Bensemann bereits 1893, die erste internationale Fußballbegegnung in Süddeutschland einzufädeln (gegen ein Team aus Lausanne), doch scheiterten seine Bemühungen, ein französisches Meisterteam nach Straßburg zu holen. Was Bensemann als Akt der Völkerversöhnung verstanden wissen wollte, hielt man in Paris für politische Provokation - immerhin war Straßburg im deutsch-französischen Krieg, also nur zwei Jahrzehnte zuvor, von den Preußen in einer mehrwöchigen Kanonade schwer zerstört worden und in den Augen der Franzosen seither widerrechtlich besetzt gehalten. "Wenn wir nach Straßburg kommen, werden wir mit unseren Kanonen kommen", beschied eine Pariser Zeitung.

Erst fünf Jahre später gelang es Bensemann, das Eis zu brechen. Er erreichte nach langwierigen Verhandlungen die Einladung einer deutschen Mannschaft nach Paris - der erste bedeutsame Sportkontakt zwischen den beiden verfeindeten Nationen. Im Dezember 1898 gelangen einem von Bensemann zusammengestellten Auswahlteam gegen den Pariser Meister White Rovers sowie einem Pariser Städteteam zwei Siege.

 

Querelen um Bensemanns internationales Engagement

Inzwischen aber gab es im deutschen Lager Querelen um Bensemanns internationales Engagement. Sie nährten sich aus persönlichen Animositäten - der ehrgeizige Bensemann betrieb seine Privatdiplomatie an den mittlerweile gegründeten Verbänden vorbei - sowie aus nationalistisch gefärbten Ressentiments. Einflussreiche Kreise plädierten dafür, der Fußball müsse sich zunächst als "deutsches Spiel" etablieren, bevor man sich mit ausländischen Gegnern messen und der Gefahr einer schmachvollen Niederlage aussetzen könne.

Der Streit eskalierte, als es Bensemann 1899 überraschend gelang, die ehrwürdige englische Football Association für eine Tournee nach Deutschland zu gewinnen. Es war die erste Reise eines englischen Auswahlteams auf den Kontinent und daher eine sportpolitische Sensation - und dennoch hatte Bensemann Mühe, ein Team zusammenzustellen. Sein Hauptgegner war der Süddeutsche Fußball-Verband, an dessen Spitze der konservative Friedrich-Wilhelm Nohe sowie der streitbare Gus Manning standen. Manning, Sohn eines jüdischen Kaufmannes, störte sich vor allem an Bensemanns Eigenmächtigkeiten, an dessen Hang zu ausschweifenden Feierlichkeiten sowie einem allzu lockeren Umgang mit Geld. Um die Spiele gegen die Engländer zu verhindern, schloss der süddeutsche Verband seinen Pionier Bensemann aus und drohte jedem Spieler, der an den Spielen mitwirken würde, mit der gleichen Sanktion.5

 

"Ur-Länderspiele" als Meilenstein

Nicht nur aus diesem Grund stand Bensemanns Arrangement mit der Football Association auf äußerst wackligen Beinen - noch unmittelbar vor der Anreise der Engländer verfügte er weder über eine halbwegs repräsentative Mannschaft noch über die den Engländern zugesagten finanziellen Garantien. Erst als der Berliner Verband seine Unterstützung zusagte, erst als sich Karlsruher Spieler entgegen dem Verbot ihres Verbandes zur Teilnahme bereit erklärten und erst als eine Gönnerin in letzter Minute Bensemann einen Privatkredit gewährte, konnten die Begegnungen stattfinden.

Diese später so genannten "Ur-Länderspiele" (zwei in Berlin, eines in Prag, eines in Karlsruhe) wurden zu einem Meilenstein in der deutschen Fußballgeschichte und vor allem in Karlsruhe zu einem gesellschaftlichen Ereignis.6 Die Deutschen verloren zweistellig - doch sie erhielten erstmals einen prägenden Anschauungsunterricht über die taktischen und spielerischen Potenziale des modernen Fußballspiels. So hieß es noch 15 Jahre später in der Festschrift eines Berliner Vereins: "Die größte Sensation des alten Jahrhunderts war das Erscheinen der ersten repräsentativen englischen Mannschaft in Berlin mit den glanzvollsten Namen englischer Fußballgeschichte. (...) Sie offenbarte uns eine ganz neue Kunst, das genaue flache Zuspiel, das Zuspiel an den Hintermann, das exakte Stoppen des Balles usw., Eigenschaften, die man damals bei dem guten hohen alldeutschen Spiel absolut nicht kannte."7

 

Die Gründung des deutschen Fussball-Bundes

Wenige Wochen später erfolgte die Gründung des Deutschen Fußball-Bundes, an der auch Bensemann mitwirkte, indem er als Delegierter teilnahm und für den Namen des neuen Verbandes verantwortlich zeichnete. Um einen Funktionärsposten bewarb er sich indes nicht, wohl auch in der klugen Selbsteinschätzung, dass er mit seinem zuweilen sprunghaften und eigensinnigen Vorgehen allzu oft anecken würde. Stattdessen ging er als Lehrer für Sport und Sprachen ins Ausland, zunächst in die Schweiz, ab 1901 für 13 Jahre nach Großbritannien. Bei diesem Entschluss spielte wohl auch das wenig rühmliche Ende seiner akademischen Karriere eine Rolle: An der Universität Freiburg war er, kurz vor der Dissertation stehend, wegen "Befleckung der Standesehre" zwangsweise exmatrikuliert worden. Man warf ihm vor, einige Gymnasiasten nach dem Fußballspielen zum Besuch von Kneipen angeregt zu haben.

 

Der Sport-Pazifist

Der Erste Weltkrieg zwang Bensemann, vermutlich ungewollt, nach Deutschland zurück. Er erlebte diesen Krieg zwischen allen Fronten stehend: "Ich habe ihn doppelt empfunden: Es waren Jahre der Trauer um meine eigenen Landsleute, deren Pyrrhussiege mir das Ende nicht verschleiern konnten; Jahre der Trauer um liebe Kollegen, liebe Schüler aus meiner (...) Tätigkeit in England."8 Bensemanns Konsequenz war die Ablehnung engstirnigen Nationaldenkens: "Auf den Geburtsort eines Menschen kommt es so wenig an, wie auf den Punkt, von wo er in den Hades fährt."9 Seine Hoffnung war, dass die Eigendynamik eines grenzüberschreitenden Sportverkehrs friedensstiftend wirken könnte: "Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht heute das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen."10

Um bittere Erfahrungen reicher und um einige Unbesonnenheiten ärmer war Bensemann nach dem Weltkrieg wieder an jenem Punkt angelangt, der ihn bereits vor 1900 umgetrieben hatte: der Förderung internationaler Begegnungen und Propagierung einer "pazifistischen Sportidee".11

 

Der legendäre "Kicker" wird gegründet

Als er 1920 seine Zeitung gründete, den "Kicker", beschrieb er dessen Leitmotiv in vielfachen Varianten so: "Der ‚Kicker' ist ein Symbol der Völker-Versöhnung durch den Sport."12 Am Anfang deutete wenig darauf hin, dass dieser Sportzeitung ein längeres Leben beschieden wäre. Bensemann betrieb sie zunächst als ein reines Ein-Mann-Unternehmen, chaotisch verwaltet und von ständiger Geldnot verfolgt. Allerdings war er während seiner langjährigen Abwesenheit in Teilen der süddeutschen Fußballszene zu einer legendären Figur geworden; man pries ihn als den "Mann, der sich wohl die größten Verdienste um den deutschen (...) Fußball erworben hat."13 Bensemann konnte alte Mitstreiter der Pionierzeit als Korrespondenten gewinnen, zugleich verfügte er mittlerweile über hervorragende internationale Kontakte, die vor allem nach Ungarn, Tschechoslowakei, Österreich, in die Schweiz und die Niederlande reichten. Diese beiden Umstände - sein Renommee in Süddeutschland und sein Ansehen im Ausland - sorgten dafür, dass der "Kicker" trotz schwierigster Startbedingungen überlebte.

 

 

DIE ERSTE AUSGABE DES „KICKER“ ERSCHIEN AM 14. JULI 1920.

Verlag Die Werkstatt, Göttingen

 

Kernregion der Zeitung war Süddeutschland; die Redaktion residierte zunächst in Konstanz, dann in Stuttgart, Ludwigshafen und schließlich in der Fußball-Hochburg Nürnberg. Einen Großteil des Inhalts füllten regionale Beiträge, doch für Profil und Aufsehen sorgten vor allem die fundierten Korrespondentenberichte aus dem Ausland sowie die Leitartikel, die Bensemann allwöchentlich als "Glossen" veröffentlichte. Diese "Glossen" waren oft journalistische Meisterstücke, in denen Elemente der Nachricht, der Reportage, des Kommentars, der Satire, des Reiseberichts und der Leseransprache kühn miteinander vermengt wurden - nicht selten auf durchaus intellektuellem Niveau. Es waren "ungewöhnliche Arbeiten", urteilte 50 Jahre später der bekannte Sportpublizist Richard Kirn, "das Bedeutendste, was je ein deutscher Sportjournalist geschrieben hat."14 Im Nachhinein erschließt sich aus diesen "Glossen" nicht nur eine wichtige Epoche deutscher Fußballgeschichte, sondern auch das atemlose Leben eines "Weltbürgers", über den Kirn schrieb: "Er war in den Luxusherbergen Europas zu Hause, Mittelpunkt jeder gastlichen Tafel, schwermütiger Wanderer, (...) nie in einer bürgerlichen Wohnung zu Hause."15

 

 

DIE „KICKER“- JUBILÄUMSAUSGABE VON 1930. 

Verlag Die Werkstatt, Göttingen

 

"Glossen" gegen Obrigkeit und Nationalismus

Vor allem in den ersten Jahren enthielten Bensemanns "Glossen" meist witzige und geistreiche Attacken gegen die Behinderung des Fußballbetriebs durch die Obrigkeit und gegen nationale Engstirnigkeiten. Oft stellte er dem auf internationalem Parkett beschränkt und polterig auftretenden Deutschen den polyglotten, souverän agierenden Engländer oder Schweizer gegenüber. Als deutschen Prototyp jener "Kulis einer Epoche, da der Untertan schweifwedelnd seine Inspiration von einer höheren Affenkaste empfing", ließ Bensemann zuweilen eine Kunstfigur namens Kuhwedel durch seine "Glossen" stolpern und sich bei aller Tumbheit doch als "Salz der Erde" fühlen.16 So sehr diese Satiren den liberalen und sozialdemokratischen Teil der "Kicker"-Leser amüsiert haben mögen, so sehr ärgerten sie den deutsch-konservativen. Deren Unmut eskalierte, als Bensemann im Februar 1921 statt eines eigenen Leitartikels das Traktat eines Dr. Max Uebelhör auf die ersten beiden Seiten seiner Zeitung rückte. Unter der Überschrift "Der deutsche Jammer" war darin eine polemische Attacke gegen den Militarismus zu lesen, und zwar "denjenigen Made in Germany, den einzig existierenden also."17 Es hagelte daraufhin empörte Leserbriefe aus, wie der "Kicker" selbst darstellte, "deutsch-nationalen Kreisen". Ein Abonnent kündigte an, er habe die Zeitung nunmehr zum letzten Mal gelesen: "Jeder echte Deutsche wird dasselbe tun."18 In einer anderen Zuschrift hieß es: "Sie sind beide (gemeint sind Bensemann und Uebelhör) Schurken und verdienen, am nächsten Laternenpfahl gehängt zu werden."19 Offensichtlich schadete die Affäre dem jungen Unternehmen auch finanziell erheblich. Bensemann behauptete später, der Gastartikel habe ihn 500 Abonnenten gekostet. Jedenfalls wurde er in der nächsten Zeit vorsichtiger mit politischen Provokationen.

 

Der DFB-Kritiker

Deutlich blieb allerdings seine Kritik am internationalen Gebaren des DFB, insbesondere an der Person Felix Linnemanns, der im Vorstand zunächst für die internationalen Beziehungen zuständig war. Ihm warf Bensemann in mehreren Leitartikeln arrogantes und überhebliches Auftreten gegenüber ausländischen Verbänden vor. Einen Höhepunkt erreichte der Streit, als der "Kicker" 1923 die offenbar vom DFB verschleppten Verhandlungen über Länderspiele gegen Ungarn und Schweden attackierte und Linnemann attestierte, einen "Mangel an Diplomatie" gezeigt und "ein Kabinettstück von Taktlosigkeit" abgeliefert zu haben. Linnemann antwortete mit einem Brief, in dem er Bensemann vorwarf, er "denke zu international": "Sie wissen ja selbst, dass Sie nicht nur in fremden Sprachen träumen, Sie fühlen leider nach meinem Empfinden auch zu stark in fremder Mentalität."20

Durch die nationalistisch motivierten Überheblichkeiten mancher DFB-Funktionäre sah Bensemann das Projekt einer internationalen Verständigung mithilfe von Sportbegegnungen gefährdet: "Der Hass gegen Deutschland (...) entspringt einer Antipathie gegen schulmeisterliche Belehrung."21 Er selbst versuchte solche Begegnungen durch eigene Initiativen auch praktisch zu fördern, beispielsweise indem er englische Trainer nach Deutschland vermittelte, internationale Begegnungen auf Vereinsebene anbahnte und einen "Friedenspokal" ausschrieb für das erste Spiel zwischen einer Mannschaft aus Deutschland und einer aus dem mittlerweile wieder zu Frankreich gehörenden Elsass.22

 

Die FIFA als sportlicher Völkerbund

Diese Bemühungen korrespondierten mit dem engen Verhältnis, das Bensemann zu zahlreichen Führungsfiguren der europäischen Fußballszene unterhielt. Mit den Verbandspräsidenten aus Schweden, Ungarn oder Italien beispielsweise pflegte er regelmäßige Kontakte, ebenso mit Hugo Meisl, dem Vater des legendären österreichischen "Wunderteams". Auch Frederick Wall, als Sekretär der englischen Football Association eine graue Eminenz des europäischen Fußballs, sowie den FIFA-Generalsekretär Jules Rimet kannte er gut. Ebenso den langjährigen FIFA-Vizepräsidenten Ivo Schricker, der 1932 zum ersten hauptamtlichen FIFA-Generalsekretär gewählt wurde und damit eine Schlüsselstellung im internationalen Fußball einnahm. Bensemann hatte Schricker bereits als Jugendlichen in Straßburg kennen gelernt, hatte ihn dort für den Fußball begeistert und den talentierten Sportler zum Kapitän seines Auswahlteams gegen England gemacht. Seither verband die beiden Kosmopoliten eine lebenslange enge Freundschaft.

Aus Inhalt und Diktion von Bensemanns "Kicker"-Glossen wird ersichtlich, dass eine Verständigung mit diesen und anderen Größen des europäischen Fußballs für ihn höchste Priorität genoss - die FIFA sah er als vermittelnde Instanz für den internationalen Sportverkehr, als eine Art sportlichen Völkerbund, den er gelegentlich als "das herrlichste Geschöpf der Welt" pries.23

 

Der DFB isoliert sich international

Umso heftiger geriet seine Kritik, als sich der DFB mit den "Hannoveraner Beschlüssen" 1925 international isolierte. Auf einer Tagung des Verbandes war beschlossen worden, zur Verteidigung des deutschen Amateurideals künftig den Spielverkehr mit Profiteams aus der Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich zu verbieten - also mit den seinerzeit spielstärksten Teams auf dem Kontinent. Dieser "ungeheuerliche", "taktlose" und "überhebliche" Beschluss (Bensemann) war in den folgenden Jahren immer wieder Ziel seiner Attacken: "Es wird sich herausstellen, dass die übergroße Majorität der FIFA-Verbände durchaus nicht gesonnen ist, am deutschen Sportwesen zu genesen. Ich habe dies schon vor Wochen und Monaten befürchtet; als Antwort auf meine Befürchtungen kamen die Beschlüsse von Hannover, die von einer Weltfremdheit ohnegleichen zeugten und durch ihre verkehrte psychologische Einstellung unsere wenigen Freunde im Ausland gegen uns aufbrachten."24

Zum zugrunde liegenden Streitpunkt - Ablehnung des Profitums - nahm Bensemann eine pragmatische Haltung ein. Er akzeptierte, dass die Zeit des großen englischen Amateurideals, wie es in den von ihm verehrten Corinthians verkörpert war, wohl abgelaufen war, und plädierte für Lockerungen in den Amateurbestimmungen. Einen regelrechten Profibetrieb in Deutschland lehnte er jedoch ab - weniger aus ideologischen denn aus ökonomischen Gründen: Er befürchtete, dass im krisengeschüttelten Deutschland die Sportvereine ein solches Experiment nicht überleben könnten.

 

Ein Verfechter sportlicher Einheitsorganisationen

Auch in anderen großen Streitfragen des deutschen Fußballbetriebes argumentierte Bensemann zumeist zwar mit polemischer Feder, aber in der Sache selbst mit Pragmatismus und ohne ideologische Scheuklappen. Als Verfechter von sportlichen Einheitsorganisationen beispielsweise lehnte er separate Arbeitersportvereine ebenso ab wie konfessionelle Verbände. An den Aktivitäten der Arbeitersportler kritisierte er deren (partei-)politische Agitation und klassenkämpferischen Implikationen. Zugleich übersah er nicht, dass es in ihrer Betonung des Fair Play und des Internationalismus wesentliche Berührungspunkte mit seinem eigenen Sportverständnis gab. In diesem Sinne berichtete er über größere Veranstaltungen der Arbeitersportbewegung zuweilen ausführlich und freundlich, bescheinigte einer Arbeitersportzeitung "echten Pioniergeist, wie er uns früher beseelte"25, oder erwähnte lobend die erste deutsch-französische Nachkriegsbegegnung, die durch die "Arbeitersportkartelle" zustande gebracht wurde.26

In seiner Kritik an den jüdischen Separatverbänden argumentierte er ebenso moderat und mit jener Einstellung, die den säkular denkenden Teil der deutschen Juden prägte: "Die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes ist genau wie die der ersten Christen oder die der ersten Protestanten ein Schandfleck der Geschichte. Allein sie sollte dazu führen, Humanität und Toleranz als Prinzipien gelten zu lassen. Neben den vielen hoch gebildeten Israeliten, die sich in der Nation, von der sie einen Bestandteil bilden, akklimatisiert hatten und die zum Teil als Philanthropen und Förderer der Künste über den Rahmen ihres Landes hinaus gewirkt haben, gibt es eine ganze Reihe von Staatsbürgern derselben Konfession, die nur durch eine intensive soziale Vermischung mit Andersgläubigen gewinnen kann. Warum also etwas Trennen des in eine Bewegung hineinschaffen, welche die Einigkeit als obersten Grundsatz pflegt?"27

Die aktuelle Gefahr eines wachsenden Antisemitismus allerdings thematisierte Bensemann hier, wie auch bei späteren Anlässen, kaum. Diese Haltung, der möglicherweise Illusionen über die wahre Wucht judenfeindlicher Strömungen in Deutschland zugrunde lagen, sollte der "Kicker" bis 1933 beibehalten.

 

Antisemitismus verschont auch den Fussball nicht

In der Weimarer Republik hatte der Antisemitismus neuen Nährboden gefunden - vor allem, weil für die politischen Nachwehen des verlorenen Krieges und für ökonomische Krisenphänomene wie Inflation oder Arbeitslosigkeit Sündenböcke gesucht wurden. Außenminister Rathenau beispielsweise, der die schwierigen Reparationsverhandlungen mit den Alliierten zu führen hatte, wurde von der politischen Rechten als "gottverfluchte Judensau" geschmäht und fiel 1922 einem Attentat zum Opfer.

Auch der Fußball blieb von antisemitischen Vorfällen nicht verschont. Der Wiener Sportjournalist Willy Meisl (ein Bruder des erwähnten österreichischen Verbandskapitäns Hugo Meisl) zitierte im "Kicker" ein Beispiel aus dem österreichischen "Volksblatt". Darin wurde behauptet, der Fußball werde "von jüdischem Gelde erhalten (...), um die Leidenschaften der Massen aufzupeitschen und die rohen Instinkte der Menschen zu wecken." Meisl, der selber jüdischer Herkunft war, kommentierte: "No also, bitte! Ist er nicht an allem Schuld? - Wer? - Blöde Frag`: der Jud!"28

Entsprechenden Konflikten im deutschen Sport wich Bensemann in seinen "Glossen" eher aus. Zwar veröffentlichte er zuweilen Leserbriefe oder Presseberichte, die antisemitische Stimmungen in der Turnerschaft kritisierten, doch kommentierte er sie zurückhaltend mit den Worten: "Zu einer Diskussion (dieser Berichte) kann ich nicht schreiten, da der ‚Kicker' sich mit der Turnerei in keiner Beziehung abgibt. Ich habe genug damit zu tun, die Politik vom Sport fernzuhalten."29

Und als die linke Zeitschrift "Arbeitersportler" behauptete, "das bürgerliche Sportpublikum (stelle) die Kerntruppen für Naziversammlungen", während "der ‚Kicker' krampfhaft die Augen davor zudrückt", antwortete Bensemann mit einem Hinweis auf die parteipolitische Neutralität der Sportbewegung: "Wir haben uns niemals die Mühe gegeben, die politischen Anschauungen unserer Zuschauer zu erforschen; selbst unseren Mitgliedern steht ihre Parteizugehörigkeit völlig frei."30

Auch ein eklatanter antisemitischer Vorfall in Bensemanns direktem Umfeld blieb von ihm unkommentiert: Im August 1932 verließ der langjährige ungarische Trainer des 1. FC Nürnberg, Jenö Konrad, über Nacht Deutschland und übersiedelte nach Österreich. Anlass waren Attacken des in Nürnberg erscheinenden Hetzblattes "Der Stürmer" gegen den Trainer, über den es u. a. hieß: "Ein Jude ist ja auch als wahrer Sportsmann nicht denkbar. Er ist nicht dazu gebaut mit seiner abnormen und missratenen Gestalt."31 Obwohl Bensemann mit Konrad gut bekannt war und ihn im "Kicker" sowohl vor wie auch nach diesem Vorfall als hervorragenden Trainer lobte, schwieg er zu dem Eklat. Die Motive dafür sind schwer zu mutmaßen. Möglicherweise schien es ihm gerade als Juden unpassend, Angriffe auf jüdische Bürger zu thematisieren. Ebenso mag die erwähnte mögliche Unterschätzung antisemitischer Stimmungen eine Rolle gespielt haben.

 

Der "Mausefallenhändler"

Doch auch Bensemann selbst war mit antisemitischen Klischees gegen seine Person konfrontiert. Dies galt vor allem für seinen langjährigen Streit mit dem Westdeutschen Spielverband (WSV) bzw. dessen Zentralorgan, dem "Fußball und Leichtathletik" ("FuL"). Diese Fehde war in Schwung gekommen, nachdem "Fußball und Leichtatheltik" im Frühjahr 1924 ein Traktat veröffentlicht hatte, dessen Inhalt durch die Überschrift im Grunde hinreichend wiedergegeben wird: "Die drei scharfen T des WSV", nämlich "Teutsch, Treu, Tüchtig". Verfasser war Josef Klein, der Vorsitzende des WSV-Jugendausschusses.32 Klein ging es um ethische Grundsätze, die für Sport und Nation gleichermaßen eine prägende Kraft entwickeln sollten. Ziel der sportlichen wie der gesellschaftlichen Erziehung waren für Klein "in und für Deutschland brauchbare Menschen", die die "Lebenskräfte des deutschen Volkstums" retten sollten. Seine rigorose Ablehnung galt dem "schwachsinnigen Traum von sportlicher Weltverbrüderung" sowie jeglicher Form des Profitums.

Bensemann druckte den Artikel nach und ließ ihn durch - überwiegend ablehnende - Gastbeiträge kommentieren. Ein Vorgehen, das ihm seitens des "FuL" den Vorwurf einbrachte, er habe "das ganze Heer" seiner "Spottjournalisten aufgeboten, um Herrn Dr. Klein lächerlich zu machen und seine Gedanken als die Ausgeburt eines nationalistischen Gehirns zu verdummteufeln."33 Danach verging kaum eine Ausgabe des "Kicker" oder des "FuL" ohne wechselseitige Sticheleien, und der Streit eskalierte, als im Frühjahr 1925 Guido von Mengden Redakteur des "FuL" wurde. Auch er warf Bensemann vor, er mache "sehr viel in Sportpolitik, allerdings nicht in deutscher", und fügte dieser Kritik bald einen unüberhörbaren antisemitischen Unterton bei. Beispielsweise rechnete er den "Kicker"-Herausgeber zu jenen Menschen, "die Krämer und Geschäftemacher mit Volksseele und Volksgemüt sind"34 und schrieb von einem "Mausefallenhändler", der "aus den Ländern um Galizien" stamme. Letzterer Vorwurf war zwar gegen Hugo Meisl gerichtet, den (jüdischen) Verbandskapitän in Österreich, zielte aber gleichzeitig auf Bensemann, der mit Meisl eng befreundet war. Vor allem diese Formulierung veranlasste den "Kicker"-Herausgeber, den Streit zwar nicht inhaltlich zu vertiefen, aber formal eine Etage höher zu hängen: Er drohte mit dem Austritt des Süddeutschen Verbandes aus dem DFB, sofern "Fußball und Leichtathletik" seine Tonlage nicht mäßigen würde.35

Auch wenn Bensemann mit dieser Drohung seine Kompetenzen vermutlich weit überschritt, so verweist der Vorgang doch darauf, dass es sich bei dem Streit keineswegs um die Privataffäre zweier verfeindeter Zeitungsleute handelte. Der "Kicker" war seit 1924 das Zentralorgan des Süddeutschen Fußball-Verbandes, der "Fußball und Leichtathletik" das des Westdeutschen, und ihre Fehde war durchaus repräsentativ für die politische Konfliktlage im DFB. Bensemann verfolgte in den wichtigsten sportpolitischen Fragen (wie Profitum, Verhältnis zum Arbeitersport, Beziehungen zum Ausland) einen Kurs des Ausgleichs, des Pragmatismus und der Verständigung. Dagegen dominierte beim "FuL" eine aggressive deutsch-nationalistische Ideologie. Klein und von Mengden formulierten in pointierter Form lediglich eine Position, die im DFB längst Mehrheitsmeinung war. Wie der Streit beweist, hätte der DFB in der Weimarer Zeit die Option auf eine andere politische Entwicklung gehabt, ohne dabei seine bürgerliche Grundhaltung aufgeben zu müssen. Aus freien Stücken wählte er einen Weg, der ihn 1933 schließlich in die Arme der Nationalsozialisten führen musste.

 

Bemerkenswerte Karrieren

Gerade Bensemanns Gegenspieler hatten es übrigens nicht schwer, sich rasch mit den neuen Machthabern zu arrangieren oder dort Karriere zu machen. Felix Linnemann, der ihm einst "fremde Mentalität" attestiert hatte und mit dem er sich seither beständig stritt, war inzwischen Bundesvorsitzender des DFB und blieb dies auch unter den Nazis. Der Kriminalbeamte wurde zudem SS-Standartenführer und war als Leiter der Kripoleitstelle Hannover direkt an der Vernichtungspolitik der Nazis, insbesondere gegenüber den Sinti und Roma, beteiligt. Der "teutsche" Dr. Klein wurde im Mai 1933 zum neuen "Führer" des WSV gewählt und saß zwischen 1932 und 1936 für die NSDAP im Reichstag. Später geriet er in Widerspruch zum nationalsozialistischen System.36

Die bemerkenswerteste Karriere allerdings durchlief Guido von Mengden. Im Juni 1933 wurde er Pressewart des DFB, im April 1935 Pressereferent des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen, 1936 Generalreferent des Reichssportführers von Tschammer und Osten. In dieser Funktion wirkte der SA-Sturmbannführer als "Generalstabschef" des deutschen Sports (so der Sporthistoriker Hajo Bernett). Nach 1945 begann er eine zweite Karriere als Sportfunktionär, wurde 1951 Geschäftsführer der Deutschen Olympischen Gesellschaft, 1954 Hauptgeschäftsführer des Deutschen Sportbundes und 1961 Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees - kurzum, die "graue Eminenz" (Hajo Bernett) des bundesdeutschen Sports.37

 

In die defensive gedrängt

Während Walther Bensemann Anfang der 1930er-Jahre auf internationalem Parkett als einer der angesehensten Vertreter des deutschen Fußballs galt und seine Zeitung als "das beste Sportblatt des Kontinents"38, geriet er in Deutschland mit seinem Eintreten für eine kosmopolitische Ausrichtung des Sports immer stärker in die Defensive. In den Monaten vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme äußerte er sich in seiner Zeitung kaum noch politisch. Dabei dürfte seine Sorge um die Zukunft des "Kicker" eine Rolle gespielt haben, zudem war seine Gesundheit stark angeschlagen und seine finanzielle Situation denkbar schlecht. Hinzu kam, dass der "Kicker" inzwischen seine Selbstständigkeit verloren hatte. Mit dem Nürnberger Verleger Max Willmy war ein Partner ins Boot gekommen, der Bensemanns autokratische Position im "Kicker" bald infrage stellte und offenbar auch dessen persönlichen Reiseetat zusammenstrich.39 In einem letzten Akt des Trotzes und persönlicher Eitelkeit ließ Bensemann sich anlässlich seines 60. Geburtstags über mehrere Seiten im "Kicker" als verdienstvollen Pionier feiern. Danach resignierte er offenbar. Zwar enthielt sich der "Kicker" unter seiner Regie jeglichen positiven Kommentars zu Hitlers frischer Kanzlerschaft - aber auch jeglicher direkten Kritik. In seinen "Glossen" finden sich lediglich geschickt verklausulierte Hinweise auf staatliche Zensur und Sorgen um den Erhalt des Friedens.

 

Der Exilant

Anfang April 1933 reiste Bensemann in die Schweiz, aus der er nicht mehr zurückkehren sollte. Auf Einladung der FIFA weilte er 1934 - gesundheitlich stark beeinträchtigt - noch als Gast bei der Fußballweltmeisterschaft, wo ihn deutsche Journalisten als Mahner vor der faschistischen Gefahr in Erinnerung behielten.40 Auch in Briefen an deutsche Freunde bekundete er seine tiefe Ablehnung des Hitler-Regimes. Doch öffentliche Äußerungen von ihm gab es nicht mehr. Bensemann starb am 12. November 1934 in Montreux - jenem Ort, von dem er 35 Jahre zuvor aufgebrochen war, Deutschland für den Fußball zu missionieren.

 

Anpassung des DFB an den nationalsozialistischen Ungeist

Es war ihm nicht erspart geblieben, die Anfänge der nationalsozialistischen Herrschaft mitzuerleben - und die fatale Anpassung auch von Leuten, die einst seine Weggefährten waren. Hanns-Joachim Müllenbach, sein journalistischer Schüler seit 1920 und Nachfolger im "Kicker", ließ in dem Blatt über "Asphaltliteraten" herziehen, die "das deutsche Wesen so verunglimpft" und "teilweise allerdings nun die Flucht ergriffen" hätten.41 Bereits einige Tage zuvor, am 4. April 1933, hatten die großen süddeutschen Fußballvereine, mit denen Bensemann über lange Zeit enge Beziehungen gepflegt hatte, in einer gemeinsamen Erklärung versichert, sie würden die Maßnahmen der NS-Regierung "mit allen Kräften" mittragen, "insbesondere in der Frage der Entfernung der Juden aus den Sportvereinen".42 Zu den unterzeichnenden Klubs gehörten der Karlsruher FV, den Bensemann gegründet hatte, der 1. FC Nürnberg, zu dem er bis 1933 freundschaftliche Kontakte unterhalten hatte, Eintracht Frankfurt und FSV Frankfurt, die jahrelang von der Förderung des jüdischen Mäzens Dr. David Rothschild profitiert hatten, sowie der FC Bayern, an dessen Gründung jüdische Sportler (darunter Bensemann selbst) großen Anteil hatten und deren langjähriger Vorsitzender, der jüdische Kaufmann Kurt Landauer, im März 1933 zurücktreten musste. Kurze Zeit später proklamierte auch der DFB, er halte "Angehörige der jüdischen Rasse (...) in führenden Stellungen der Landesverbände und Vereine nicht für tragbar."43

 

Turniere wahren das Andenken

Ivo Schricker, der für die Nazis unangreifbar in der FIFA-Zentrale saß, und weiteren alten Freunden im Ausland blieb es vorbehalten, Bensemanns Andenken zu wahren. Am Abend seiner Beerdigung in Montreux beschlossen sie, ein internationales Fußballjugendturnier ins Leben zu rufen und dem Pionier zu widmen.44 1937 fand in Genf das erste "Tournoi international de Football-Juniors pro memoria Walter Bensemann" statt, mit Beteiligung namhafter Vereine aus der Schweiz, der Tschechoslowakei, aus Frankreich und Italien. Weitere Turniere folgten 1938 und 1939 in Straßburg und Zürich, bis der Weltkrieg dieser Idee ein vorläufiges Ende setzte. 1946 wurde das Turnier dann wieder ausgetragen, 1951 erstmals auch in Deutschland (Karlsruhe). Die UEFA unterstützte das Projekt, das nach 1962, dem Todesjahr Schrickers, zum "Internationalen Turnier p.m. Walter Bensemann - Dr. Ivo Schricker" umbenannt wurde. Als Vorsitzender des Organisationskomitees fungierte u. a. FIFA-Präsident Sir Stanley Rous. Das letzte Turnier wurde 1991 durch den Karlsruher FV durchgeführt, danach löste das Komitee sich auf, weil die UEFA ihre finanzielle Bürgschaft zurückzog.

Darüber hinaus war der Name Bensemann seit seinem Tode in der Öffentlichkeit kaum noch präsent. Daran änderte auch das Ende der Nazi-Herrschaft nichts. Zwar erwähnte ihn in der DFB in seinen Festschriften sowohl zum 50- wie zum 100-jährigen Jubiläum, ohne jedoch seine Verdienste tatsächlich zu benennen. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, dass beim Fußball-Bund eine politische Aufarbeitung der eigenen schmählichen Rolle in der NS-Zeit kaum stattgefunden hatte. Als dies nach diversen kritischen Buchveröffentlichungen45 sowie einem eher peinlichen Beitrag in der DFB-100-Jahresschrift zunehmend öffentliche Kritik wachrief, entschloss sich der Bund, selbst eine Studie zu der Thematik in Auftrag zu geben.46 Das im Jahr 2005 vorgelegte Werk, das immerhin die persönlichen Verhaltensweisen führender DFB-Männer im NS-Regime recht offen skizziert, fand in Hinblick auf seine politischen Erklärungsansätze gleichwohl nicht den ungeteilten Beifall der Sporthistoriker. Im Falle Walther Bensemanns ist diese Skepsis nachvollziehbar. Bensemann findet dort lediglich in seiner "Rolle" als Jude Erwähnung. Sein lebenslanges Eintreten für ein kosmopolitisches Sportverständnis sowie der daraus resultierende Konflikt mit dem DFB werden an keiner Stelle behandelt. Auch wenn die Protagonisten von einst längst Vergangenheit sind - der Konflikt an sich ist es keineswegs. Schon deshalb wäre es notwendig, Bensemanns politisches Erbe angemessen zu thematisieren.

 

Anmerkungen

1 Einzelheiten zu Bensemanns Herkunft und weiterer Biografie siehe: Beyer, B.-M.: Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walther Bensemann. Göttingen 2003 (siehe dort vor allem die Quellenverweise in den Anmerkungen).

2 "Der Kicker", Nr. 27/1929. Weitere Angaben zu jener Zeit finden sich u. a. in den Heften 43/1931 und 12/1922.

3 Zum Wirken jüdischer Fußballer vgl.: Schulze-Marmeling, D. (Hrsg.): Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und internationalen Fußball. Göttingen 2003.

4 "Spiel und Sport" vom 13. Januar 1900, S. 24.

5 Vgl. zu dem Streit: "Spiel und Sport" vom 20. Januar 1900, S. 39.

6 Diese "Ur-Länderspiele" waren: am 23.11.1899 in Berlin (2:3; 1.500 Zuschauer), am 24.11.1899 wiederum in Berlin (2:10; 500 Zuschauer), am 25.11.1899 in Prag (0:8; 4.500 Zuschauer) sowie am 28.11.1899 in Karlsruhe (0:7; 2.000 Zuschauer).

7 Torball- und Fußball-Club Viktoria e.V. (Hrsg.): Festschrift zum 25-jährigen Jubiläum. Berlin 1914.

8 "Der Kicker", Nr. 11/1920.

9 Ebenda.

10 "Der Kicker", Nr. 34/1930.

11 "Der Kicker", Nr. 9/1925.

12 "Der Kicker", Nr. 25/1920.

13 Wolf, P.: Neue Ausgrabungen aus der Steinzeit des Frankfurter Fußballs. Frankfurt am Main 1930, S. 12.

14 Zit. Nach Seifert, P.: Walther Bensemann als Sportpublizist. Diplomarbeit. Köln 1973.

15 Kirn, R.: Große Namen der deutschen Sportjournalistik. o. O. Juli 1977.

16 "Der Kicker", Nr. 3/1920, vgl. beispielsweise auch Nr. 4/1921.

17 "Der Kicker", Nr. 5/1921.

18 "Der Kicker", Nr. 6/1921.

19 "Der Kicker", Nr. 7/1921.

20 "Der Kicker", Nr. 16/1923.

21 "Der Kicker", Nr. 5/1922.

22 "Der Kicker", Nr. 13/1921.

23 "Der Kicker", Nr. 22/1931.

24 "Der Kicker", Nr. 9/1925.

25 "Der Kicker", Nr. 5/1925.

26 "Der Kicker", Nr. 42/1924.

27 "Der Kicker", Nr. 43/1921.

28 "Der Kicker", Nr. 49/1923.

29 "Der Kicker", Nr. 4/1925. Bensemann selbst erhebt m. W. im "Kicker" nur einmal den Vorwurf des Antisemitismus, und zwar gegenüber einem Straßburger (also französischen) Leserbriefschreiber, der sich als "ehrlicher Arbeiter" bezeichnet und bestimmten Fußballerkreisen "Krämergeist" vorwirft. Bensemann antwortet in Heft 2/1924: "Ihr Brief bekundet einen offensichtlichen Antisemitismus, den man in Arbeiterkreisen eigentlich nicht erwartet. Lassalle, Marx und Rosa Luxemburg haben doch stets bei der werktätigen Schicht die allergrößte Verehrung genossen."

30 "Der Kicker", Nr. 39/1931.

31 Vgl. dazu: Bausenwein, C./Kaiser, H./Siegler, B.: 1. FC Nürnberg - Die Legende des Clubs. Göttingen 1996, S. 75ff.

32 Vgl. dazu u. a.: Heinrich, A.: Der deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte. Köln 2000; Eggers, E.: Fußball in der Weimarer Republik. Kassel 2001; Westdeutscher Fußballverband e.V. (Hrsg.): 100 Jahre Fußball im Westen. Kassel 1998.

33 "Fußball und Leichtathletik", Nr. 27/1925.

34 Zit. nach "Der Kicker", Nr. 14/1928. Dass Bensemann die Verwendung solcher Begrifflichkeiten mit Antisemitismus gleichsetzen musste, beweist seine in Fußnote 29 geschilderte Reaktion.

35 "Der Kicker", Nr. 47/1928.

36 Vgl. dazu u. a: Heinrich, A.: Der deutsche Fußballbund. a.a.O.; Eggers, E.: Fußball in der Weimarer Republik. a.a.O.; Dwertmann, H.: Sportler - Funktionäre - Beteiligte am Massenmord. Das Beispiel des DFB-Präsidenten Felix Linnemann. In: SportZeiten. Sport in Geschichte, Kultur und Gesellschaft, Heft 1/2005.

37 Vgl. dazu: Bernett, H.: Guido von Mengden - "Generalstabschef" des deutschen Sports. Berlin, München, Frankfurt am Main 1976.

38 So der Vorsitzende des schwedischen Fußballverbandes, Johanson. Zit. nach "Der Kicker", Nr. 22/1932.

39 Dr. Max Willmy war Besitzer einer Großdruckerei sowie eines Zeitungsverlages in Nürnberg. Seine Eingriffe in den "Kicker" waren möglicherweise nicht nur dadurch motiviert, Ordnung in ein Unternehmen zu bringen, an dem er finanziell beteiligt war. Willmy arrangierte sich ab 1933 verdächtig schnell mit den Nazis und druckte einige ihrer Blätter, ab 1934 auch den "Stürmer", der bald eine wöchentliche Auflage von 2,5 Millionen erreichte. Es ist zu vermuten, dass Willmy frühzeitig ein Interesse daran hatte, den "Kicker" politisch in ein neues Fahrwasser zu lotsen und den starrsinnigen (zudem jüdischen) Herausgeber loszuwerden. 1948 wurde Willmy wegen seiner Beziehungen mit dem Nazi-Regime zu zwei Jahren Sonderarbeit verurteilt, sein Vermögen wurde zu 50% eingezogen. Auf fünf Jahre wurde ihm das Wahlrecht entzogen sowie die Berufsausübung als Verleger verboten.

40 Vgl. beispielsweise: Becker, F.: Walter Bensemann. Porträt eines Idealisten. In: DFB-Jahrbuch. Frankfurt am Main 1953

41 "Der Kicker", Nr. 16/1933. Er erschien am 11. April, also etwa zehn Tage nach Bensemanns Ausreise.

42 "Der Kicker", Nr. 15/1933.

43 "Der Kicker", Nr. 16/1933.

44 Vgl. zu Entstehung und Geschichte des Turniers: Karlsruher Fußballverein (Hrsg.): 90 Jahre Karlsruher Fußballverein. Karlsruhe 1981; sowie derselbe (Hrsg.): 100 Jahre Karlsruher Fußballverein. Karlsruhe 1991.
45 Vgl. dazu die erwähnten Veröffentlichungen von Eggers, E. und Heinrich, A. sowie Fischer, G./Lindner, U.: Stürmer für Hitler. Vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus. Göttingen 1999.

46 Havemann, N.: Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz. Frankfurt am Main 2005.

 

Unser Autor

Bernd-M. Beyer, Jahrgang 1950, studierte Politik, Volkswirtschaft und Publizistik. Er arbeitete zunächst als Zeitungsredakteur und seit 1982 als Verlagslektor mit dem Schwerpunkt Fußballgeschichte.

 


 

 

 

 


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