Zeitschrift

Klimawandel und
Klimapolitik

 

 

Heft 1 2008

Hrsg: LpB



 

 
Inhaltsverzeichnis
 

  

 

Klimawandel und Klimapolitik

Der Klimawandel ist im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Man erinnert sich wieder an Prognosen, die einstmals in wissenschaftlichen Studien geäußert – und zumeist geflissentlich ignoriert – wurden. Bereits 1972 präsentierte der Club of Rome seine Studie über die Grenzen des Wachstums. 1992 riefen die Vereinten Nationen zum Erdgipfel nach Rio de Janeiro. 1997 verpflichteten sich im Kioto-Protokoll rund drei Dutzend Industrienationen zur Begrenzung ihres Energieverbrauchs.

Die Öffentlichkeit nahm von alledem Notiz, um dann aber wie gewohnt weiter zu wirtschaften. Die kollektive Ignoranz hat nun ein Ende. Fest steht, dass der Klimawandel nicht bevorsteht, sondern stattfindet. Die „Semantik des Risikos“ (Ulrich Beck) ist in die öffentliche Debatte zurückgekehrt. Seit dem vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) kann nicht mehr bestritten werden, dass der Klimawandel Realität ist.

Der Treibhauseffekt ist ein natürlicher, sogar lebensnotwendiger Vorgang. Der Grund zur Sorge über die globale Erwärmung liegt darin, dass der Mensch den Treibhauseffekt seit geraumer Zeit verstärkt. Die Temperaturen der letzten zehn Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Messungen im 19. Jahrhundert überhaupt. Der überwiegende Teil dieser Erwärmung ist auf den anthropogen – also vom Menschen – verursachten Anstieg von CO2 zurück zu führen. Stefan Rahmstorf erörtert im einleitenden Beitrag grundlegende Begrifflichkeiten und Ursachen des Klimawandels, führt in die (natur-)wissenschaftliche Debatte ein und erläutert die wichtigsten Fakten sowie Szenarien. Faktenkenntnis ist mithin die Voraussetzung zum Verständnis und zur angemessenen Bewertung anstehender klimatischer Veränderungen.

Die spür- und sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels, die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die sich von Nord nach Süd umkehrende Entwicklung – im Hinblick auf den durch die wirtschaftliche Dynamik verursachten Ressourcenverbrauch – sind die drei ökologischen Megatrends, die das Janusgesicht quantitativen Wachstums offenbaren. War das quantitative Wachstum bisher Antriebskraft für wirtschaftliche Dynamik und Motor der Globalisierung, offenbart sich nun die Unverträglichkeit dieser Wachstumsideologie mit der Endlichkeit der Erde und den Regenerationsfristen der Natur. Deshalb wird der innovative und effiziente Umgang mit natürlichen Ressourcen zur Schlüsselfrage. Die Energie- und Umweltpolitik rücken ins Zentrum der Politik und müssen – so Ursula Fuentes, Harald Kohl und Michael Müller – zu einem ökologischen New Deal führen, der eine Neudefinition des technischen Fortschritts, die Enttabuisierung der Wachstumsfrage und einen eigenen europäischen Weg, der sich durch Sozialverträglichkeit und Innovationskraft auszeichnet, verlangt.

Definiert man Zielgrößen im Hinblick auf eine Senkung von CO2-Emissionen, so können mit Hilfe von Szenarienanalysen ein Entwicklungspfad sowie die zur Erreichung des Ziels notwendigen Handlungen und Investitionen aufgezeigt werden. Wolfram Krewitt erörtert die wesentlichen Ergebnisse des Energy [R]evolution Szenarios, das vom Ziel einer maximalen Temperaturerhöhung von zwei Grad Celsius ausgeht. Beachtet man als Bestimmungsgröße für den zukünftigen Energiebedarf das stete Anwachsen der Weltbevölkerung und den prognostizierten Energiebedarf der Entwicklungs- und Schwellenländer, gilt es, sämtliche Einsparpotenziale des weltweiten Energiebedarfs auszuschöpfen. Dies verlangt einen tief greifenden Wandel unseres Energieversorgungssystems und eine Ressourcenverlagerung auf die erneuerbaren Energien (z.B. Sonnen-, Windenergie und Wasserkraft). Das Szenario zeigt, dass ein Kurswechsel geboten und machbar ist, allerdings entsprechende politische Rahmenbedingungen auf nationaler und internationaler Ebene erfordert.

Beim Wettlauf um die letzten Energieressourcen wird der Globus neu vermessen. Die Sicherung der nationalen Energieversorgung verschiebt international die Machtverhältnisse entlang der Frage, wer die noch verbleibenden Energieressourcen besitzt und den Zugang zum Weltmarkt kontrolliert. Szenarien internationaler Expertenkommissionen prognostizieren das „Ende des billigen Öls“ und damit einhergehend das „Große Spiel“ um die letzten Ressourcen. Wenn das Zeitalter der fossilen Energien seinem Ende naht, wird die Frage nach der Förderung erneuerbarer Energien dringlicher denn je zuvor. Letztlich stellt sich die Frage, wie angesichts der neuen Energiekrise die Sicherheit der Umwelt und des Klimas zu gewährleisten ist. Gefragt und dringend vonnöten ist – so Sascha Müller-Kraenner – eine internationale Energiediplomatie, die Energie- und Ressourcenfragen, Klimaschutz sowie geopolitische Interessen als Einheit zu denken wagt.

Prognosen zufolge werden die weltweiten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent steigen. Nach 2020 werden die Schwellen- und Entwicklungsländer mehr Treibhausgase emittieren als die Industrieländer. Im gleichen Zuge, in dem sich China und Indien zu dominierenden Wirtschaftsmächten entwickeln, wird sich die Belastung des Ökosystems drastisch verschärfen. Imme Scholz analysiert die ökonomischen Strukturen beider Länder, die für die wachsenden Treibhausgasemissionen ursächlich verantwortlich sind und skizziert – mit einer Schwerpunktsetzung auf China – die nationalen Anstrengungen auf dem Feld der Klimapolitik. Erörtert wird auch die Frage, wie sich China und Indien im Rahmen der Verhandlungen für ein neues Klimaregime nach dem Auslaufen des Kioto-Protokolls im Jahre 2012 positionieren werden. Der Beitrag macht deutlich, dass der Klimawandel nur eingedämmt werden kann, wenn es in China und Indien gelingt, Wirtschaftswachstum und Treibhausgasemissionen zu entkoppeln. Dies kann nicht ohne entsprechende Vorleistungen der Industrieländer gelingen.

Die beispielhafte Karriere des Begriffs „Emissionshandel“ sagt noch nichts darüber aus, ob dieses klimapolitische Instrument transnationale Gerechtigkeit herzustellen vermag. Der Beitrag von Tilman Santarius zeigt, dass sowohl die Ursachen des Klimawandels wie auch seine Folgewirkungen ungleich über den Globus verteilt sind. Besonders die Ungleichverteilung der Schäden macht deutlich, dass die Folgen des Klimawandels in zukünftigen Auseinandersetzungen um globale Gerechtigkeit einen wichtigen Stellenwert einnehmen werden. Die globale Erwärmung – so das Fazit des Beitrags – untergräbt die Menschenrechte. Die gegenwärtige Klimapolitik sowie die bisherige Ausgestaltung des Emissionshandels beschneiden die Entwicklungschancen der ärmeren Länder.

Anfang 2007 hat die Europäische Kommission einen neuen Abschnitt in ihrer Klima- und Energiepolitik eingeleitet. Die Vorschläge und Maßnahmen, wie zum Beispiel die Richtlinie zur Liberalisierung der Gas- und Strommärkte oder der Aktionsplan für mehr Energieeffizienz, wurden zu einem Bündel geschnürt und als klima- und energiepolitische Strategie zusammengeführt. Das Paket aus siebzehn Einzelmaßnahmen wurde auf dem Gipfeltreffen des Rates der EU-Mitgliedstaaten im März 2007 unter der deutschen Präsidentschaft beschlossen. Auf der internationalen Ebene fungiert die EU – so die Einschätzung von Susanne Dröge – als wichtiger Schrittmacher der globalen Klimapolitik. Die EU-Klima- und Energiestrategie enthält Eckpunkte, die auch für das Fortkommen auf globaler Ebene wichtig sind. Zu den in der EU-Strategie enthaltenen Eckpunkten gehören die Festlegung eines Mindestziels für die Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Fortführung und der Ausbau des Emissionshandelssystems, die Steigerung der Energieeffizienz, der Ausbau der erneuerbaren Energien und nicht zuletzt die Technologieförderung.

Das Leitbild Nachhaltige Entwicklung, als normative Vereinbarung der Weltgemeinschaft bereits 1992 beschlossen, und das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft stehen in Deutschland noch weitgehend unverbunden nebeneinander. Die Ausführungen von Michael von Hauff konzentrieren sich auf grundlegende Fragen und Zusammenhänge einer ökologisch und sozial ausgerichteten Marktwirtschaft. In einem zweiten Schritt folgt die Begründung einer nachhaltigen Marktwirtschaft aus wirtschaftstheoretischer Perspektive. Nachhaltige Entwicklung fordert intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit. Bei der Diskussion über intra- und intergenerationelle Gerechtigkeit gibt es konträre Positionen, die dem Anspruch nachhaltiger Entwicklung unterschiedlich gerecht werden. Bis heute stehen sich hinsichtlich der Beziehung von Ökonomie und Ökologie die neoklassische Umweltökonomik und die Ökologische Ökonomik gegenüber. Die theoretische Begründung der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit wird exemplarisch am Beispiel der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls sowie am Denkmodell von Amartya Sen erörtert. Im letzten Abschnitt wird sodann ein methodischer Ansatz zur Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt. In den Schlussfolgerungen werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengeführt und auf die Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands angewandt.

Weltweit sind zwischen zehn und 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verkehrsbedingt. Im Widerstreit mit ökonomischen Interessen ist Verkehrspolitik ein schwieriges Unterfangen. Als zunächst nationales Handlungsfeld kennt Verkehrspolitik verschiedenste Instrumente (Infrastruktur- und Verkehrsplanung, Regulierung durch Emissionsgrenzwerte, Steuerung durch ökonomische Instrumente), die unterschiedliche Wirkungen entfalten. Durch den nur begrenzten Erfolg nationaler Anstrengungen erlangt die Gemeinschaftspolitik der EU eine gewichtige Bedeutung. Deren Strategien werden jedoch kontrovers diskutiert und stellen eine ständige Gratwanderung zwischen Herstellerinteressen und Klimaschutz dar. Susanne Böhler und Daniel Bongardt zeigen, warum im Verkehrssektor das Erreichen von Klimaschutzzielen besonders schwierig ist. Weder ist in den Industrieländern eine Trendumkehr absehbar, noch gibt es probate Mittel, um die sich abzeichnenden Emissionssteigerungen in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu vermeiden. Zwar existiert eine Anzahl von Maßnahmen, eine Aussicht auf Erfolg besteht jedoch nur, wenn an einer Vielzahl von Stellschrauben auf den unterschiedlichen politischen Ebenen gedreht wird.

Baden-Württembergs Umweltministerium hat den Klimawandel zu einer zentralen Schwerpunktaufgabe erklärt. Gleichwohl wissend, dass es Klimaschutz unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zum Nulltarif geben kann! Grundlage der Klimaschutzpolitik des Landes bildet das von der Landesregierung bereits vor zwei Jahren beschlossene Klimaschutzkonzept 2010. Mit dem zum Jahresbeginn 2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Nutzung erneuerbarer Wärmeenergie, das zur anteiligen Nutzung erneuerbarer Energien bei der Wärmeversorgung von Wohngebäuden verpflichtet, unterstreicht Baden-Württemberg einmal mehr seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz. Trotz bisher positiver Entwicklungen ist der Gebäudesektor für den Klimaschutz noch ein „schlafender Riese“. Es fehlt an der notwendigen Dynamik, um eine merkliche Minderung der Emissionen zu erkennen. Baden-Württemberg hat sich deshalb in diesem Sektor als bundesweit erstes Land zu ordnungsrechtlichen Vorgaben entschlossen. Umweltministerin Tanja Gönner erläutert die wesentlichen Eckpunkte und Inhalte sowie die praktische Umsetzung des Gesetzes.

Das neue Öko-Zeitalter hat ein Zauberwort hervorgebracht, das Wunder wirken soll: freiwillige CO2-Kompensation. Doch die ist so harmlos und schmerzlos, dass sich nicht einmal Vielflieger als Schmutzfinken schämen müssen. Gerettet wird nicht die Welt, nur das eigene Gewissen. Der ökologisch zeitgemäße und chice „Ablasshandel“ ist ein weiterer Beleg für die Diskrepanz zwischen (Umwelt-)Wissen, Moral und Verhalten. Wird die „Moral“ durch die „Ökonomie“ untergraben, wächst das krasse Missverhältnis zwischen Sollen und Tun. Der Beitrag von Andreas Dietrich hält uns nicht nur den Spiegel vor. Er zeigt überaus anschaulich, dass Appelle an die Selbstdisziplin und moralgesättigte Strategien im Hinblick auf ökologisch verantwortliches Handeln nur leidlich wirken. Ökologische „Wiederholungstäter“ verfügen über ein reichhaltiges Arsenal von Abwehr- und Rechtfertigungsmöglichkeiten. Verteuert man hingegen ökologisches Fehlverhalten oder belegt dieses mit finanziellen Einbußen, legt man sich nicht nur mit der Flugzeugbranche an. Man begibt sich in das klassische psychologische Dilemma, dass sich Moral und Vernunft nur schwer auf dem Wege der Verordnung durchsetzen lassen.

Konsumenten entscheiden immer häufiger nach ethischen Kriterien. Galt bisher das Postulat, Kaufentscheidungen oder Kaufenthaltungen seien das Ergebnis lediglich finanzieller Überlegungen, spiegeln sich im Warenangebot und in Produktionsabläufen zunehmend moralische Qualitäten wider. Der im Durchschnitt gestiegene Wohlstand der privaten Haushalte und ein höheres Bildungsniveau sind die Hauptursachen veränderter Qualitätserwartungen und des zu beobachtenden Trends, Waren und Dienstleistungen (unsichtbare) moralische Eigenschaften zuzuschreiben. Der aus konsumkritischer Sicht als unmündig apostrophierte Verbraucher greift mit seinem Verhalten in die Wertschöpfungskette ein und zwingt Produzenten dazu, ihre Waren unter ökologisch nachhaltigen Gesichtspunkten herzustellen. Nico Stehr und Marian Adolf beschreiben diese gesellschaftliche Entwicklung als „Moralisierung der Märkte“. Von politischem Interesse ist die Frage, inwieweit sich dieses Konsumentenverhalten generalisieren lässt. Handelt es sich um einen bloßen Trend des „Greenwashing“, um einen von Besserverdienenden gepflegten „Lifestyle“ oder kann es gelingen, ein Gespür für die „Sackgassen-Eigenschaften“ seitherigen Wirtschaftens zu entwickeln und Produktion und Konsumtion nach ethischen Kriterien zu realisieren?

Die Autorinnen und Autoren wollen mit ihren Beiträgen detaillierte Informationen vermitteln und Fakten bereitstellen, die für das Verständnis des komplexen Themas wichtig sind. Allen Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle gedankt. Dank gebührt auch dem Schwabenverlag für die stets gute und effiziente Zusammenarbeit.

Siegfried Frech

 


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