Zeitschrift 

Menschenrechte


 

Heft 1/ 2004

Hrsg: LpB

 



 

Inhaltsverzeichnis

Buchbesprechungen

Wegweiser zu den Menschenrechten

K. Peter Fritzsche

Menschenrechte. Eine Einführung mit Dokumenten.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn u.a. 2004 422 Seiten, 15,90 Euro

K. Peter Fritzsche, Politikwissenschaftler und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Menschenrechtsbildung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, hat unlängst ein Einführungs- und Studienbuch, einen - um es gleich vorweg zu sagen - außergewöhnlich fundierten "Wegweiser" zu den Menschenrechten vorgelegt. Das Buch wird vom Autor bescheiden als "Einführungsbuch" bezeichnet, das Grundkenntnisse, Orientierungs- und Handlungswissen vermitteln will, weil Menschen ein "gerüttelt Maß an Wissen und Verständnis" (S. 11) brauchen, um zu begreifen, was Menschenrechte für jeden Einzelnen und seine Mitmenschen bedeuten. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Normen, Institutionen, Instrumente und Akteure des Menschenrechtsschutzes, die "einen enormen zivilisatorischen Fortschritt darstellen, ohne den die Welt erheblich brutaler, unfreier und ungleicher wäre" (a.a.O.).

Das Buch ist in sechs Teile gegliedert, die allesamt systematisch aufgebaut und "didaktisch" durchdacht sind. Im ersten Teil ("Begriffe - Erklärungen - Entwicklungen") geht es um einen systematischen und zugleich um einen historischen Zugang, der ein Grundverständnis über Menschenrechte und die Menschenrechtsidee vermittelt. Bereits dieser Teil des Buches besticht durch eine klare und übersichtliche Darstellung, die mit aussagekräftigen Bildquellen, graphisch vom Fließtext abgehobenen Tabellen und Abbildungen arbeitet und somit zentrale Sachverhalte und Aussagen visualisiert. Der zweite Teil ("Vom nationalen zum internationalen Menschenrechtsschutz") gibt einen umfassenden Überblick über Instrumente, Institutionen und Mechanismen, die nach 1945 auf nationaler, supranationaler und internationaler Ebene entwickelt wurden. Der dritte Teil skizziert unter der Überschrift "Unteilbare, umstrittene und unvollendete Menschenrechte" Aspekte von solchen Menschenrechten (wirtschaftliche, soziale, kulturelle Rechte; das Recht auf Entwicklung sowie das Recht, nicht diskriminiert zu werden), die im Mittelpunkt vieler Kontroversen des internationalen Menschenrechtsdiskurses standen und immer noch stehen. Dieser Teil ist gerade deshalb so wichtig, weil nach wie vor zu konstatieren ist, dass die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte - im Gegensatz zu den bürgerlichen und politischen Rechten - weniger stark im öffentlichen Bewusstsein verankert sind.

Menschenrechte von besonders verletzlichen Gruppen werden im vierten Teil des Buches erörtert. Es handelt sich hierbei um Gruppen (Frauen, Kinder, Flüchtlinge und Asylsuchende, Arbeitsmigranten und Minderheiten), denen bisher immer noch Gleichberechtigung vorenthalten wird und die als potenzielle Opfergruppen außergewöhnlich gefährdet sind, d.h. einen besonderen und weitergehenden Schutz benötigen. Der fünfte Teil stellt staatliche und nicht-staatliche Akteure und Adressaten der Menschenrechtspolitik dar. In durchaus kritischer Absicht stellt K. Peter Fritzsche in diesem Kapitel die Frage, ob der Nationalstaat überhaupt noch der adäquate und ausschließliche Adressat der Menschenrechte sein kann. Stellt sich doch angesichts der Globalisierung die Frage, ob Wirtschaftsunternehmen - die als Global Players agieren und sich der staatlichen Kontrolle zu entziehen wissen - nicht auch Adressaten der Menschenrechte sein müssten (S. 142ff.). K. Peter Fritzsche bezieht nicht nur in dieser Frage eine eindeutige Position. Die aktuellen Diskurse zur Menschenrechtspolitik, die sich nach dem 11. September 2001 entwickelten, werden sehr wohl thematisiert. Angesichts der Bedrohung durch die entgrenzte terroristische Gewalt "wächst die Bereitschaft, die moralischen und rechtlichen Grenzen der Repression zu verschieben" (S. 175). Deshalb das deutliche Plädoyer, bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Herstellung von Sicherheit Menschenrechtsnormen strikt einzuhalten.

Im sechsten und letzten Teil schließlich wird Menschenrechtsbildung als ein unverzichtbares Element der Menschenrechtsentwicklung thematisiert (vgl. auch den Beitrag von K. Peter Fritzsche in diesem Heft). Die Kernthese ist, dass Menschenrechte nur dann ihre Wirkung entfalten können, wenn man sie kennt und auch versteht. Menschenrechte müssen daher gelernt werden. Vor dem Hintergrund dieser These entfaltet der Autor ein konzeptionelles Angebot zur Menschenrechtsbildung. Das Wissen über Menschenrechte, ihre positive Bewertung und die Bereitschaft, sich für sie einzusetzen, sind unerlässliche Bildungsziele. K. Peter Fritzsche fasst dies in drei Imperativen zusammen: "1. Kenne und verteidige deine Rechte. 2. Anerkenne die Recht der anderen. Verhalte dich im Alltag selber so, dass du die Menschenrechte der anderen anerkennst und nicht verletzt. 3. Verteidige nach deinen Kräften auch die Rechte anderer und helfe nach deinen Möglichkeiten Opfern von Menschenrechtsverletzungen." (S. 169). Gerade dieser Teil verdeutlicht, dass die Menschenrechtsidee und die Verwirklichung bzw. Durchsetzung der Menschenrechte ein immer noch unvollendetes Projekt (S. 39ff.) darstellen.

Ein umfangreicher Dokumententeil (S. 183-421) schließt sich an die oben skizzierten Hauptkapitel an. Der umfangreiche Anhang ist eine vorzügliche Quellensammlung. Interessierten Leserinnen und Lesern werden zentrale Dokumente, historische Quellen - gleichsam die "Meilensteine" (z.B. Virginia Bill of Rights; Französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte; Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948 usw.) der Entwicklung der Menschenrechte -, internationale Übereinkommen, wichtige Fakultativprotokolle, Europäische Konventionen und Erklärungen an die Hand gegeben.

Zwei weitere "Serviceleistungen" zeichnen das Buch aus. Im Anschluss an jedes Kapitel werden durchgängig Literaturtipps angeboten, die eine Vertiefung der jeweils erörterten Aspekte ermöglichen. Lobenswert ist der Umstand, dass die weiterführenden Literaturangaben überschaubar gehalten sind und nur die wichtigsten (und zudem aktuellen) Literaturstellen benennen. Das Buch enthält des Weiteren eine Fülle von relevanten und kommentierten Internetadressen (S. 176ff.). Thematisch interessante Links werden als Fußnoten angeboten, die dazu anregen sollen, das Internet als Informationsquelle über die Menschenrechte zu nutzen. Das Internet ist inzwischen eine der wichtigsten Ressourcen der Menschenrechtsarbeit geworden, bietet es doch die Chance grenzüberschreitender Kommunikation, die Zensurmaßnahmen und autoritäre Regulierungsversuche umgehen kann und inzwischen für die Informations- und Mobilisierungsarbeit von Menschenrechtsorganisationen unerlässlich ist.

Die fundierte Einführung und Hinführung zum Thema "Menschenrechte" bietet Material für die Arbeit in Universitätsseminaren und Kursen der Sekundarstufe II. Gleichzeitig ist das Buch ein Leitfaden und eine gelungene Handreichung für all diejenigen, die sich mit Normen, Akteuren und Adressaten der Menschenrechtspolitik beschäftigen. Mithin ein Buch, dass in keiner Bibliothek fehlen sollte und dem viele Leserinnen und Leser zu wünschen sind.

Siegfried Frech


Jahrbuch Menschenrechte

Deutsches Institut für Menschenrechte u. a. (Hrsg.)

Menschenrechte 2004.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
369 Seiten, 12,00 Euro

Seit 1998 erscheint im Suhrkamp Verlag das "Jahrbuch Menschenrechte". Die Herausgeber verfolgen das Ziel, mit diesen Jahrbüchern einen Beitrag zur politischen Diskussion um den Begriff der Menschenrechte und die Verwirklichung bzw. Durchsetzung der Menschenrechtsidee zu leisten. Jeder Band berichtet anhand eines besonderen Schwerpunktthemas über den Stand der Menschenrechtsidee in ausgewählten Ländern bzw. Regionen. Die Menschenrechtspolitik einzelner Regierungen und überstaatlicher Zusammenschlüsse wird analysiert und die Wirkungsweise von Menschenrechtsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) untersucht. Jedes Jahrbuch enthält einen Serviceteil, der über den Ratifizierungsstand wichtiger internationaler Menschenrechtsübereinkommen informiert. Ferner sind in diesem Serviceteil wichtige Dokumente und Chroniken abgedruckt, die dem interessierten Publikum sonst nur schwer zugänglich sind.

"Menschenrechte 2004", erschienen im November 2003, ist die sechste Ausgabe des Jahrbuchs. Themenschwerpunkt des Jahrbuches ist die Realisierung der Menschenrechte in Europa im Vorfeld der Osterweiterung der Europäischen Union (EU). Namhafte Autorinnen und Autoren analysieren die durch den Beitrittsprozess ausgelösten Herausforderungen für den Schutz der Menschenrechte sowohl in den alten Mitgliedsstaaten als auch in den Beitrittsländern. Der EU-Konvent zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung ist ein weiteres Thema. Die bereits im Jahrbuch 2003 begonnene Untersuchung der Vereinbarkeit von Strategien zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit der universellen Gültigkeit der Menschenrechte wird fortgeführt. Hierbei stehen völkerrechtliche und politische Analysen der neuen amerikanischen Sicherheitsdoktrin und der Irakkrieg im Mittelpunkt der Beiträge. Beiträge zum Internationalen Strafgerichtshof und zur Menschenrechtslage in Deutschland und Österreich sind weitere Gegenstände der Berichte.

Das Kapitel "Human Rights Lecture" enthält einen Beitrag von Wolfgang S. Heinz, der über die Menschenrechte in den Verträgen der EG/EU informiert. Weitere Gegenstände seiner Darstellung sind die Europäischen Gerichtshöfe, die Innen- und Rechtspolitik der EU und ihrer Mitglieder sowie das Verfahren zur Überprüfung der Einhaltung der Beitrittskriterien durch die Kandidaten. Kritisch merkt der Autor an, dass das Instrumentarium zur Beobachtung und Sanktionierung von Menschenrechtsverstößen durch die Mitgliedsländer derzeit noch nicht hinreichend ausgereift sei.

Der erste Beitrag zum Themenschwerpunkt "Osterweiterung der EU" kommt zu dem Ergebnis, dass die menschenrechtlichen Standards, die den Beitrittskandidaten durch die Kopenhagener Kriterien abverlangt werden, mitunter höher seien als die von den Mitgliedern erreichten Standards. Der Beitrag von Monika Lerch beschäftigt sich mit dem Europäischen Konvent und den Konsequenzen der EU-Verfassung für die europäische Menschenrechtspolitik. Der Beitrag von Walter Kemp hat den Minderheitenschutz in der erweiterten EU zum Thema. Kemp stellt fest, dass Fragen nationaler Minderheiten wieder auf der Agenda Westeuropas auftauchten, da sowohl das "alte Europa" sich um einen vernünftigen Umgang mit den aus Migranten bestehenden "neuen Minderheiten" bemühe als auch die Beitrittskandidaten noch ungelöste Probleme mit Minderheiten in die Union einbrächten. Kemp erklärt sowohl einer Vielfalt ohne Integration als auch einer forcierten Assimilation wegen der damit verbundenen Gefahren eine Absage. Sein Lösungsansatz zielt auf eine Integration der Vielfalt mit dem Ziel größtmöglicher Freiheit und der Garantie gleicher Rechte und gleicher Würde. Ein weiterer Beitrag enthält eine Zusammenfassung der Stellungnahme von amnesty international zu den Auswirkungen der europäischen Richtlinienentwürfe in den Bereichen der Asyl- und Einwanderungspolitik auf das deutsche Ausländer- und Asylrecht.

Das folgende Kapitel ist der Bedeutung und der Wahrung der Menschenrechte im Kampf gegen den internationalen Terrorismus gewidmet. Drei Beiträge enthalten eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle der USA. William Schulz stellt einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen des 11. September 2001 und dem vorherigen Vorgehen der USA in Afghanistan und im Irak her. Der Verfasser mahnt, die Vereinigten Staaten könnten durch einen konsistenteren Einsatz für die Menschenrechte den Terrorismus wirksamer bekämpfen als durch das kritisierte Vorgehen, das neben anderen Gefahren dazu angetan sei, eine neue Generation von Terroristen hervorzubringen. Christian Tomuschat und Werner Ruf kritisieren in ihren Beiträgen übereinstimmend den Unilateralismus der USA und prangern Präventivkriege als Verstöße gegen geltendes Völkerrecht an. Das Kapitel wird abgeschlossen mit der Darstellung von Anna Würth zu den Menschenrechtsdialogen der EU mit islamisch geprägten Ländern nach dem 11. September, wobei der Schwerpunkt auf den Menschenrechtsdialogen mit dem Iran liegt. Die Verfasserin regt die Erarbeitung eines durchsetzbaren Forderungskataloges an und ruft dazu auf, wirtschaftliche Vereinbarungen mit konkreten menschenrechtlichen Forderungen zu verknüpfen.

Das Kapitel Regionen und Länder befasst sich mit der Lage der Menschenrechte in Afghanistan, Kolumbien, Ruanda und im Irak. Ruth Jüttner kommt aufgrund einer Analyse der derzeitigen Verhältnisse im Irak zu dem Ergebnis, dass nationale Gerichte auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, die ehemalige Staatsführung in fairen und unabhängigen Verfahren zur Verantwortung zu ziehen. Jedoch sei angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen eine zügige Ahndung der Täter und Verantwortlichen geboten, um dem Klima der Straffreiheit und möglichen Vergeltungsaktionen entgegenzuwirken und den Opfern und ihren Angehörigen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Als Alternativen diskutiert sie die Einrichtung eines internationalen Ad-hoc-Tribunals durch den UN-Sicherheitsrat oder eines gemischten Tribunals, das sich aus internationalen und irakischen Juristen zusammensetzt. Rainer Huhle konstatiert, dass das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien unter dem Regime Uribes entgegen der mit seinem Amtsantritt verbundenen Hoffnungen weiter angestiegen ist. Um der ihnen zukommenden Rolle in der Schlichtung des Konfliktes zwischen paramilitärischen Gruppen, Guerillas, Drogenhändlern, aber auch staatlichen Sicherheitsorganen gerecht werden zu können, fordert der Verfasser die europäischen Regierungen auf, die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Ursachen diese Konfliktes zu erforschen. Gerd Hankel informiert über die Gacaca-Justiz in Ruanda, ein an vorkoloniale Traditionen anknüpfendes Verfahren, das zur Ahndung des Genozids der Hutus an den Tutsis eingerichtet wurde.

Der ersten Beitrag des Kapitels "Internationale Menschenrechtsarbeit" berichtet über die 59. Sitzung der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Martin Botta und Christian Heinzel stellen neben einer Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts eine deutliche Zunahme von Partikularinteressen von Staaten und Staatengruppen, insbesondere eine vermehrte Tendenz zur Instrumentalisierung der Menschenrechtskommission für politische Zwecke fest. Nils Geißler berichtet über die internationale Strafjustiz. Den internationalen Tribunalen zum ehemaligen Jugoslawien und zu Ruanda bescheinigt er eine respektable Leistung. Der künftige konkrete Arbeitserfolg des Internationalen Strafgerichtshofes werde indes davon abhängen, ob die Staaten entsprechend dem Statut von Rom auch tatsächlich entschlossen seien, der Straflosigkeit der Täter ein Ende zu setzen. Nach Auffassung des Verfassers ist davon auszugehen, dass auch internationalisierten - also national und international gemischten - Gerichten in Zukunft eine bedeutende Rolle bei der Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen zukommen wird. Otto Böhm geht der Frage nach, ob die Obstruktionen der USA zur Demontage des Internationalen Gerichtshofes führen können oder werden. Er spitzt dies auf die Frage zu, wie die Spannungen zwischen der Weltgemeinschaftsidee und dem hegemonialen Anspruch der USA zugunsten derjenigen Ideen aufgelöst werden könnten, die dem Internationalen Gerichtshof zugrunde liegen. Mit einer verwandten Thematik befasst sich der Folgebeitrag von amnesty international, der die Resolution 1422 des Sicherheitsrates zum Gegenstand hat. Diese, auf massiven Druck der USA verabschiedete Resolution hindert den Internationalen Gerichtshof an der Rechtsprechung über das an UN-Missionen beteiligte Personal, falls es aus Staaten stammt, die das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht ratifiziert haben. Der Beitrag geht der Frage des Interesses der USA an dieser Resolution nach und nimmt - gestützt auf Rechtsgutachten bekannter Völkerrechtler - zu ihrer Vereinbarkeit mit dem Römischen Statut und der EU-Charta sowie ihrer Verbindlichkeit für die Mitgliedsstaaten und den Internationalen Strafgerichtshof Stellung. Frauke Weber und Wolfgang S. Heinz berichten über die Entwicklung des Schutzes der Menschenrechte innerhalb der seit der Wiener Menschenrechtskonferenz im Jahre 1993 vergangenen Dekade. Rudolf Binding untersucht die Auswirkungen des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus auf die Situation der Menschenrechte. Er fordert, dass der Kampf gegen den Terrorismus weder zu einer Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten führen, noch als Vorwand für die Unterdrückung innenpolitischer Gegner und militärische Interventionen dienen dürfe. Er äußert seine tiefe Sorge darüber, dass einige Staaten - im Widerspruch zu völkerrechtlichen Konventionen - Folter mit der Begründung rechtfertigten, durch so erlangte Informationen könnten neue Terroranschläge verhindert werden.

Das letzte Kapitel des Jahrbuchs beschäftigt sich mit den Menschenrechten in Deutschland und Österreich. Burkhard Hirsch rechnet kritisch mit den Auswirkungen des als Folge des 11. September unter Innenminister Otto Schily erarbeiten Sicherheitspakets auf das deutsche Ausländerrecht ab. Im Hinblick auf vergleichbare Verschärfungen in anderen westlichen Staaten kommt er zu dem Fazit, die westliche Welt zeige, wie gering ihr Vertrauen in die Kraft einer freien und weltoffenen Gesellschaft geworden sei. Michael Maier-Borst setzt sich mit der Verletzung des Folterverbotes durch Polizeibeamte auseinander. Ausgangspunkt seiner Darstellung ist der Fall des Frankfurter Polizeivizepräsidenten Daschner, der dem Mörder des Millionärssohnes Jacob von Metzler Folter angedroht hatte, um zur Rettung des Kindes dessen Versteck zu erfahren. An diesem Fall hatte sich eine kontroverse öffentliche Debatte darüber entzündet, ob die Androhung bzw. Anwendung von Folter durch Polizeibeamte unter bestimmten Voraussetzungen als nicht rechtswidrig beurteilt werden könnte. Unter Darlegung der einschlägigen rechtlichen Regelungen erteilt der Verfasser einer derartigen Rechtsansicht eine entschiedene Absage. Folter sei unter jeglichem rechtlichen Gesichtspunkt als zu verfolgende Straftat anzusehen, während die Motive des Täters allenfalls im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden könnten. Aus der Kontroverse um diesen Fall zieht der Verfasser den Schluss, dass die Überzeugungskraft menschenrechtlicher Argumente gegen die Folter offenbar derzeit angesichts der Bedrohung durch schwere Kriminalität und auch durch Terrorismus sinke. Der Beitrag von Sylke Voß-Kyeck enthält einen detaillierten und kritischen Kommentar zum 6. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den Auswärtigen Beziehungen und anderen Politikbereichen.

Das Jahrbuch gewährleistet nicht nur eine interessante und aktuelle Lektüre zu brisanten Themen, sondern informiert über nicht oder wenig bekannte Zusammenhänge und Hintergründe. Darüber hinaus bietet es einen reichhaltigen Fundus an Argumenten zu kontrovers diskutierten Fragen und Problemen. Aufgrund der Darstellung von beteiligten Institutionen und den, der Debatte zugrunde liegenden nationalen und supranationalen Gesetze sowie internationalen Abkommen fordert die Lektüre dem mit der Thematik nicht vertrauten Leser allerdings eine nicht unerhebliche Bereitschaft auf, sich mit streckenweise sperrigen Texten auseinander zu setzen. Es stellt sich die Frage, ob nicht mitunter durch eine weniger ausführliche Darstellung der Rechtsquellen eine flüssigere Lektüre ohne Beeinträchtigung des Verständnisses hätte erreicht werden können. Kritisch ist anzumerken, dass einige Beiträge in einem für das Verständnis nicht erforderlichen und die Lektüre erschwerenden Maße auf lange, zudem in englischer Sprache abgefasste Zitate aus einzelnen Übereinkommen zurückgreifen.

Dorothee Kallenberg


Wegmarken südwestdeutscher Geschichte

Hans-Georg Wehling/Rosemarie Wehling (Hrsg.)

Wegmarken südwestdeutscher Geschichte.

W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2004
336 Seiten, ca. 220 Abbildungen, 39,80 Euro

Im Jahr 2002 ist Hans-Georg Wehling mit dem offiziellen Jubiläumsband zum 50-jährigen Bestehen des Landes Baden-Württemberg ("Baden-Württemberg. Vielfalt und Stärke der Regionen") ein publikumswirksamer Coup gelungen - es ist eines der meistverkauften landeskundlichen Bücher überhaupt. Jetzt legt Wehling, einer der besten Kenner des deutschen

Südwestens und Pionier der politischen Kulturforschung, zusammen mit seiner Frau Rosemarie ein neues Buch vor, das schon durch sein Aufmachung Lust auf mehr macht, ja, zum Lesen, Schmökern und Durchblättern geradezu zwingt.

Das prachtvoll und höchst informativ bebilderte Buch denkt von den Städten des Landes her und ist doch weit mehr als eine Sammlung von Stadtgeschichten. Die dreißig (!) porträtierten Orte sind Identitätsstifter mit Ausstrahlungskraft weit über ihre Stadtgrenzen hinaus und in ihre jeweilige Region hinein. Und mehr noch: Der Konzeption des Buches liegt ein Verständnis von Landeskunde zugrunde, wie es attraktiver nicht sein könnte. Hier geht es nicht um eine detailversessene Archivierung lokalgeschichtlicher Daten und Fakten, sondern um das historische Substrat, das Geschichte lebendig und greifbar werden lässt. Im Hintergrund wird dabei immer die Frage mitgedacht, was der Leser zu Beginn des 21. Jahrhunderts aus der Geschichte wissen sollte, um seine Gegenwart besser verstehen und einordnen zu können. Die dargestellten Orte sind insofern "Wegmarken" der südwestdeutschen Geschichte, weil sich am Beispiel eines jeden einzelnen Ortes epochale Ereignisse, historische Entwicklungen und gesellschaftliche Grundzüge des deutschen Südwestens erhellen lassen.

Hans-Georg und Rosemarie Wehling haben in dem Buch ausgewiesene Kenner der jeweiligen Städte und ihrer Regionen vereinigt, die zudem meist noch durch persönliche Bezüge oder intensive Forschungen mit ihrem Thema verbunden sind. Alfred Behr, der langjährige Korrespondent der FAZ in Baden-Württemberg, stellt anhand der Städte Mannheim und Stuttgart das Thema Industrialisierung dar, das Hans-Georg Wehling selbst um das Beispiel Singen am Hochrhein erweitert und damit die dezentrale Industriestruktur des Südwestens belegt. Rosemarie Wehling erhellt in profunden und informativen Aufsätzen Renaissance, Reformation und Romantik in Heidelberg sowie den württembergischen Pietismus mit seinem Zentrum Korntal. Wer darüber hinaus ihren Beitrag zu Baden-Baden liest, wird mit mehr historischem Verständnis Wasser und Glücksspiel in der Kurstadt genießen. Karlsruhe wird von Manfred Koch als Residenzstadt und Stadt des Rechts gewürdigt, Pforzheim als Goldstadt von Hans-Peter Becht. Angelika Hauser-Hauswirth betont mit ihrem Aufsatz die Bedeutung Offenburgs in der Revolution von 1848/49, während Michael Erbe mit Kehl die "Brücke nach Frankreich" schlägt.

Die Liste der lesenswerten Beiträge wäre bedenkenlos bis zur Komplettierung des Inhaltsverzeichnisses fortzuführen: die Historiker Wolfgang Hug, Thomas Schnabel, Hans Eugen Specker und Gerhard Taddey behandeln die Städte Freiburg, Heilbronn, Ulm und Schwäbisch Hall, Wilfried Setzler thematisiert Tübingen und Karl Moersch beschreibt Ludwigsburg. Und doch ist das Bemerkenswerte an dem Buch, dass nicht nur die großen städtischen Zentren, sondern analog zur historisch gewachsenen dezentralen Struktur des Landes auch die kleineren "Wegmarken", die am Rande des Weges zur Besichtigung einladen, gewürdigt werden: genannt seien Rust als Symbol der modernen Freizeitgestaltung, Königsbronn als Heimatstadt des Hitler-Attentäters Georg Elser, Hechingen als "Preußen in Baden-Württemberg", Villingen-Schwenningen als "Baden-Württemberg-Stadt" (Hans-Georg Wehling), Weinsberg als die Stadt des Dichters Kerner (Hermann Bausinger), Biberach als lebendiges Beispiel für eine konfessionelle (Paritäts-)struktur einer Stadt (Maria E. Gründig) oder Waldburg, an dessen Beispiel Andreas Dornheim das spannungsreiche Verhältnis zwischen Adel und Bauern im Land bearbeitet.

Die imaginäre "Wegmarkenkarte" - auf dem Einband des Buches ist sie skizziert - zieht sich wie eine Wanderroute durch alle Regionen Baden-Württembergs. Insofern ist der Band nicht nur informationsgesättigte Fundgrube und farbenfroher Bildband, sondern auch anregender Reiseführer in die Geschichte des Landes. Besichtigungstipps für jede Stadt und ihre Umgebung unterstreichen nicht zuletzt auch diese Zielrichtung des Buches. 

Reinhold Weber


Baden-Württemberg als Einwanderungsland

Karl-Heinz Meier-Braun/Reinhold Weber (Hrsg.)

Kulturelle Vielfalt. Baden-Württemberg als Einwanderungsland.

Schriften zur politischen Landeskunde
Baden-Württembergs, Bd. 32.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2005,
316 Seiten.

Seit fast dreißig Jahren ist die Landeszentrale für politische Bildung Herausgeber der "Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs". Pünktlich zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 und inmitten einer kontrovers geführten Debatte über Zuwanderung und Integration ist nun der 32. Band der Schriftenreihe erschienen. Die Reihe der Autoren reicht von namhaften Migrationsexperten wie beispielsweise Karl-Heinz Meier-Braun, Özkan Ergen oder Dieter Oberndörfer über den Innenminister des Landes, Heribert Rech, bis hin zum preisgekrönten spanisch-deutschen Lyriker José F.A. Oliver und zum Olympiasieger Dieter Baumann.

Sie bieten in dem 316 Seiten starken Buch migrationspolitische Positionen und Analysen mit besonderem Augenmerk auf den deutschen Südwesten, ohne dabei den bundespolitischen Rahmen außer Acht zu lassen. Dieses Buch ist die erste wissenschaftliche Veröffentlichung zu diesem Thema auf dem deutschen Buchmarkt.

Die Landeszentrale für politische Bildung kann stolz sein auf das Buch: Es ist eine Punktlandung zum Inkrafttreten des als historisch zu wertenden Zuwanderungsgesetzes und zum fünfzigsten Jahrestag des ersten Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und Italien. Baden-Württemberg, das ja traditionell und mit derzeit rund 12,5 Prozent ausländischer Bevölkerung den höchsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergund unter den deutschen Flächenländern hat, ist damit das erste deutsche Land, das eine derartige Zusammenschau von fünfzig Jahren Zuwanderung vorweisen kann. Bei der kontrovers und bisweilen auch emotional geführten Debatte um Zuwanderung und Integration soll es zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen, so die beiden Herausgeber Karl-Heinz Meier-Braun und Reinhold Weber in der Einleitung zum Band.

Darüber hinaus ist das Buch bemerkenswert, weil es den Herausgebern nicht nur gelungen ist, ausgewiesene Experten zum Thema zu gewinnen, sondern weil ein großer Teil der Autorinnen und Autoren selbst einen Migrationshintergrund hat - alles andere als eine Selbstverständlichkeit bei einem Buch zu diesem Thema. So haben beispielsweise zwei türkischstämmige Deutsche, der Journalist Utku Pazarkaya und der Heidelberger Erziehungswissenschaftler Özkan Ergen, die Beiträge über Muslime in Baden-Württemberg und über zuwanderungsbedingte Mehrsprachigkeit in Deutschland geschrieben. Einen Aufsatz über die Aussiedler im Land hat die als Deutsche in Kasachstan geborene Wissenschaftlerin Irene Tröster verfasst.

Beim Blättern im Buch sticht zunächst die übersichtliche Struktur ins Auge: Es ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil spannt einen allgemeinen und übergreifenden Bogen zu migrations- und integrationspolitischen Themen in Vergangenheit und Gegenwart. Im zweiten Teil des Buches setzen sich die Autoren mit einzelnen Aspekten der Migrations- und Integrationspolitik auseinander. Außerdem werden unterschiedliche Gruppen von Migrantinnen und Migranten behandelt. Im dritten Teil des Bandes wendet sich der Blick in die Zukunft. Dabei werden Daten und Fakten zu Zuwanderungen nach Baden-Württemberg ebenso präsentiert wie die demografischen Perspektiven des Landes unter migrationspolitischem Aspekt. Gefragt wird hierbei nach der Bedeutung der Zuwanderung für die Zukunft des Landes unter demografischen Gesichtspunkten.

Der letzte Aufsatz des Buches ist außergewöhnlich und unerwartet. In einem Sachbuch überrascht der lyrische Beitrag des Spaniendeutschen José F.A. Oliver. Mit seiner essayistischen Geschichte versucht der im badischen Hausach aufgewachsene Oliver das Thema Integration ein Stück weit lebendig zu machen - gerade im Kontext der wissenschaftlichen Beiträge im Buch. Außerdem möchte er die Gefühle, die Sorgen und die Ängste der Migranten vor dem Fremden darstellen - Worte die unter die Haut gehen. Sehr eindrücklich schildert er poetisch-literarisch seine Erfahrungen und seine Zerrissenheit, mit der er als Spaniendeutscher zu kämpfen hatte oder hat. Deshalb darf ein Beitrag wie der von José F.A. Oliver nicht fehlen. Für ihn persönlich hat das Buch eine besondere Bedeutung. Er ist froh, dass es publiziert wurde. Für ihn ist es eine Bestandsaufnahme, die über die normalen Statistiken hinausgeht und wirklich das zum Ausdruck bringt, was Baden-Württemberg schon seit fünfzig Jahren ist - nämlich auch ein Einwanderungsland.

Das Buch ist gegen 5.- EUR zzgl. Versandkosten bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg schriftlich zu bestellen per Fax (0711/164099-77), per E-Mail (marketing@lpb.bwl.de) oder im Webshop unter www.lpb-bw.de/Shop

Annette Fischer


 

 


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