Zeitschrift

Der Rhein

 

 

Daniel Vischer
Von der Wasserstraße zur Energieachse


Inhaltsverzeichnis    


"Der Fluss ist gebändigt, der Mensch bleibt Sieger!"

Geschichte und heutiger Stand der Wasserkraftnutzung am Hochrhein

Prof. Dr. Dr. h.c. Daniel Vischer ist emeritierter Direktor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich.

Stromschnellen und insbesondere der Rheinfall bei Schaffhausen setzten der Schifffahrt am Hochrhein zwischen Bodensee und Basel enge Grenzen. Gegenüber der Konkurrenz der Eisenbahn konnte sie unter diesen Bedingungen ebenso wenig bestehen wie die einst so bedeutende Flößerei. Um so mehr eignete sich der Hochrhein für die Gewinnung von Energie, zunächst durch eine Fülle von Mühlen aller Art genutzt. Mit der Gewinnung von Elektrizität und dann vor allem seit der Möglichkeit, Elektrizität auch über große Entfernungen zu transportieren, gewann der Hochrhein seine heutige Bedeutung als Energieachse - mit insgesamt elf Kraftwerken, deren Erzeugung die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland sich teilen. 
Red.


Einer nennenswerten Schifffahrt standen Rheinfall und Stromschnellen im Wege

Die Rheinstrecke von Konstanz bis Basel wurde früher zum Oberrhein gezählt. Es scheint, dass sie die Bezeichnung Hochrhein erst anfangs des 20. Jahrhunderts erhalten hat. Vielleicht war das eine Folge ihrer neuen Rolle als Energieachse. Denn vorher lag sie eher abseits des Geschehens. Wohl hatte sie schon seit der Römerzeit eine gewisse Bedeutung als Wasserstraße. Wegen dem Rheinfall und den bis Rheinfelden folgenden Stromschnellen - unter ihnen der unpassierbare Laufenburger Laufen - vermochte sich die Schifffahrt allerdings nie stark zu entwickeln. Doch gelangte die Flößerei zu einer gewissen Blüte. Ihr Aufschwung begann im 15. Jahrhundert und erreichte infolge der Holzausfuhr nach Frankreich und Holland im 18. und 19. Jahrhundert einen Höhepunkt.

Der Niedergang der Schifffahrt begann sich schon im 18. Jahrhundert abzuzeichnen, als der Ausbau des Straßennetzes einsetzte. Das Ende brachte dann der Bau der Eisenbahn ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Dabei gewann gleichsam die Dampflokomotive die Oberhand über das Dampfschiff. Letzteres konnte sich nur auf der Strecke Konstanz-Schaffhausen behaupten. Unterhalb davon trat es kaum in Erscheinung. Zwar erreichte bereits 1832 das erste, den Oberrhein überwindende Dampfschiff Basel, fuhr von dort aber nicht weiter. Dann dauerte es mehr als 70 Jahre, bis ein Schleppdampfer mit einem Kohleleichter rheinaufwärts nach Basel gelangte und damit die Basler Rheinschifffahrt begründete. Die Folge war der Bau der Basler Rheinhäfen und der Anlegestellen bis Rheinfelden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für eine Fortsetzung der Schifffahrt weiter rheinaufwärts wurden dann eine Zeit lang sehr konkrete Pläne ausgearbeitet. Doch schliefen diese ab 1965 ein. Heute denkt man höchstens an eine Schiffbarmachung von Rheinfelden bis zur Aaremündung. Ein Freihaltegesetz sorgt dafür, dass diese Möglichkeit nicht gedankenlos verbaut wird.

Der Bau der Eisenbahn beendete auch die Flößerei. Die Bahn vermochte ja nicht nur den Holztransport effizienter zu gestalten, sondern verbreitete auch den alternativen Brennstoff Kohle. Nach dem Rekordjahr von 1856, als über 4200 Flöße von Laufenburg nach Basel schwammen, sank die Frequenz stark ab. 1890 waren es nur noch 500 Flöße und 1905 bloß 30. Schließlich traf 1927 das letzte Floß in Basel ein (Brogle 1952). Zu diesem Zeitpunkt war die Umwandlung des Hochrheins von der Wasserstraße in eine Energieachse bereits voll in Gang: In den rund 100 Jahren zwischen 1862 und 1966 wurde nämlich eine fast lückenlose Kette von Hochrheinkraftwerken erstellt (Bild 1).

Schon früh von Wassermühlen genutzt

Flüsse wie der Hochrhein wurden schon früh von Wassermühlen genutzt. Spätestens vom Mittelalter an dienten diese aber nicht bloß dem Mahlen von Getreide, sondern auch anderen gewerblichen Zwecken. Sie arbeiteten mit unterschlächtigen Wasserrädern in festen oder schwimmenden Anlagen. Die festen standen am Ufer auf einem Pfahlrost (Pfahlbaute) oder auf einem kurzen, dem Fluss abgetrotzten Uferkanal. Dabei war es schwierig, die Höhenlage der Wasserräder dem schwankenden Flussspiegel anzupassen. Dieses Problem entfiel bei den Schiffsmühlen naturgemäß. Dafür war deren Zugänglichkeit schlecht. Auch bildeten die notwendigen, weitausgreifenden Verankerungen ein Hindernis für Schifffahrt und Flößerei.

Dem Verfasser sind die einzelnen Mühlen am Hochrhein nicht bekannt. In der Blütezeit dürften wohl gegen 100 Wasserräder in Betrieb gewesen sein. Allerdings hatten diese eine Konkurrenz. Denn dort, wo der Rhein zwischen Hügeln eingebettet ist, ließen sich auch die seitlich einmündenden Bäche und Kanäle (Schwarzwald-Wuhren, Basler-Teiche) nutzen. Diese erlaubten teilweise den Einsatz von oberschlächtigen Wasserrädern anstelle der schwerfälligeren unterschlächtigen. Bei den Rheinmühlen dürfte es sich wohl durchwegs um feste Anlagen gehandelt haben. Ob es daneben überhaupt einzelne schwimmende gab, wie sie etwa für den Alpenrhein belegt sind, ist fraglich. Immerhin berichtet Grim (1995) vom Bau einer Schiffsmühle anfangs des 15. Jahrhunderts in Konstanz. Diese soll aber nichts getaugt haben.

Die Konstanzer Rheinmühle

In Konstanz entstand in der Folge eine wichtige feste Anlage: die Konstanzer Rheinmühle am Ausfluss des Bodensee-Obersees (Bild 2). Sie wurde dort 1427 in die Rheinbrücke eingebaut (Grim 1995). Später wurde sie infolge von Alterserscheinungen, Bränden und kriegerischen Einwirkungen mehrfach erneuert. Um 1540 bestand sie aus zwei Häusern mit 4 Wasserrädern. Ihre Kraft wurde durch einen kleinen Aufstau des Sees mittels Einbauten zwischen den Brückenpfeilern erhöht. Bei Nieder- und Hochwasser musste ihr Betrieb aber eingestellt werden. Eine Modernisierung 1793 erlaubte dann ein Heben und Senken der Wasserräder um 2 m und damit eine bessere Anpassung an die schwankenden Wasserstände. Gleichzeitig erfuhr die Rheinmühle eine Ausweitung auf ein kleines Kraftwerk: Die Getreidemühle erhielt 13 Mahlgänge, von denen jeder durch ein Wasserrad angetrieben wurde; dazu kamen noch besondere Wasserräder für ein Säge-, ein Schleif- und ein Walkwerk. Die Brücke übernahm teilweise die Aufgabe eines Wehrs mit Holztafeln, die den See aufstauten und die Beschickung der Wasserräder regulierten. Dieser Aufstau gab aber mehrfach Anlass zu Auseinandersetzungen mit den Seeanliegern. Als die Konstanzer Rheinmühle 1856 bis auf den Grund abbrannte, stellten sich die Bodensee-Uferstaaten vehement gegen einen Neubau. Aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung wurde die vollständige Freihaltung des Seeausflusses besiegelt und Konstanz für das aufgehobene Wasserrecht entschädigt.


Bild 1: Heutiges Längsprofil des Hochrheins mit den Zuflüssen und elf Kraftwerkstufen.

Besonders günstige Bedingungen für die Wasserkraftnutzung in Schaffhausen

Neben Konstanz besaßen natürlich auch die anderen Städte am Hochrhein ihre Rheinmühlen. Besonders günstige Bedingungen für die Wasserkraftnutzung fanden sich längs den Stromschnellen von Schaffhausen, den sogenannten Lächen. Dort arbeiteten schon ab dem Mittelalter einige am Ufer angeordnete Mühlen. So zeigt ein Prospekt von 1644 einen langen und zwei kurze Uferkanäle mit insgesamt 18 unterschlächtigen Wasserrädern. Dann kamen anfangs des 19. Jahrhunderts die Turbinen auf, die eine noch weitergehende Nutzung der Strömung erlaubten. 1831 und 1850/51 erstellten Industrielle damit zwei in Ufernähe stehende Kleinkraftwerke.

1864 bis 1866 wurde schließlich fast der ganze Bereich der Lächen vom ersten eigentlichen Hochrheinkraftwerk in Beschlag genommen (Bild 3). Dieses bestand aus vier Elementen: einem den ganzen Fluss querenden Damm (Moserdamm), einem am linken Ufer stehenden Maschinenhaus, einem im Rheinbett ausgesprengten, gedeckten Unterwasserkanal und einer fast 500 m langen Seiltransmission. Letztere war nötig, um die von zwei Turbinen gelieferten 400 kW zu den am rechten Ufer entstehenden Fabriken zu übertragen. Eine dritte Turbine von 150 kW Leistung gab ihre Energie mittels einer 120 m langen Transmissionswelle an eine linksufrige Fabrik ab. Man befand sich eben noch im Zeitalter des Direktantriebs von Industrie und Gewerbe und kannte die entsprechenden Möglichkeiten der Elektrizität nicht. Dieser neue Energieträger setzte sich erst ab 1882 durch, als im erwähnten Maschinenhaus eine kleine Dynamomaschine installiert wurde. Infolge des wachsenden Energiebedarfs wurde die Kraftwerksanlage 1890/91 durch ein zweites Maschinenhaus ergänzt. Von den 5 neuen Turbinen mit je 220 kW dienten bereits 2 Maschinen der elektrischen Kraftübertragung durch Gleichstrom. Die andern trieben Seiltransmissionen an, die erst 1900 nach der vollständigen Elektrifizierung beider Maschinenhäuser abgebrochen wurden (Niederhauser 1983).

Bild 2: Konstanz 1643, Ausfluss des Bodensees mit Rheinbrücke und Rheinmühle, Zeichnung Merian (aus Grim 1995).

Projekte am Rheinfall

Der über 20 m hohe Rheinfall bietet am Hochrhein die besten natürlichen Voraussetzungen für eine Wasserkraftnutzung. Dementsprechend wurde er auch schon früh genutzt. Ab 1111 gab es am rechten Ufer eine vom Kloster Allerheiligen in Schaffhausen betriebene Mühle (Ilg 1997). Ab 1404 ließen sich am Rheinfallbecken Schmiede nieder, die sich für ihre Blasbälge und Hämmer der Wasserkraft bedienten. Und im 16. Jahrhundert entstanden dort eigentliche Eisenwerke, die sogenannten Lauffenwerke, zur Verwertung eines nahegelegenen Bohnerzvorkommens.

Aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stammt das Gerücht, die Holländer hätten die für den Rheinfall so charakteristischen Felstürme sprengen wollen. Dies sollte allerdings nicht für die Wasserkraftnutzung geschehen, sondern für die Schifffahrt. Tatsache ist, dass einige Holländer damals Pläne hegten, die Stadt Konstanz an die Rheinwasserstraße anzuschließen. Dabei dachten diese gestandenen Wasserbauer keineswegs an eine Beseitigung der Felstürme, sondern an eine kühne Schleusentreppe. Eine solche schlugen sie ja auch für den 1637 baulich in Angriff genommenen Schifffahrtskanal vom Neuenburger See zum Genfersee vor. Gleichsam in Klammern sei noch vermerkt, dass die Felstürme nicht von Menschen, sondern von der Natur bedroht werden. Sie unterliegen nämlich der unermüdlichen Erosionskraft des Rheins. Deshalb bedurften sie Ende des 19. Jahrhunderts und erneut im Winter 1983/84 einer Verstärkung durch bauliche Maßnahmen (Härri 1985).

Doch zurück zur Wasserkraftnutzung! Ein initiativer Industrieller kaufte 1810 die schon im Zerfall begriffenen Eisenwerke und baute sie aus (Ilg 1997). Das bedingte auch eine Intensivierung der Wasserkraftnutzung. Zu dieser Schwerindustrie stieß 1853 eine Maschinenfabrik und baute am rechten Ufer einen neuen Uferkanal mit einem eigenen Turbinenhaus. 1860 empfahl das gleiche Unternehmen, wenn auch vergeblich, dem Schaffhauser Stadtrat ein Konkurrenzprojekt zum weiter oben beschriebenen Kraftwerk an den Lächen. Es sollte die Energie des Rheinfalls nicht mittels Seiltransmissionen nach Schaffhausen führen, sondern als Druckluft in Leitungen (Stoll 1997). Diese Art der Übertragung wurde damals auch anderorts für die allgemeine Energieversorgung vorgeschlagen. Sie setzte sich großräumig aber vor allem im Tunnelbau durch - mit ersten Anwendungen 1857 im Mont-Cenis- und 1872 im Gotthardtunnel.

Bild 3: Ehemaliges Kraftwerk Schaffhausen am linken Ufer – mit Moserdamm und Seiltransmissionen, erstellt 1864–1866. Modell im Museum Allerheiligen in Schaffhausen.

Der Einzug der Elektrifizierung

Dann hielt auch am Rheinfall die Elektrifizierung Einzug. Infolge des Rückgangs der Wirtschaftlichkeit der Lauffenwerke in den 80er Jahren wurde deren Umnutzung in eine Aluminiumhütte auf elektrochemischer Basis erwogen. Dies gab 1886 Anlass zur Einreichung eines Konzessionsprojektes zur intensiveren Nutzung des Rheinfalls (Bild 4). Mit einem Damm sollte rechts oberhalb des Rheinfalls ein großer Uferkanal aus dem Rheinbett ausgespart werden, um ein stattliches Maschinenhaus am Rheinfallbecken zu beschicken. Eine gegenüber früher verdreifachte Nutzwassermenge hätte dort 15 Turbinen mit insgesamt 1100 kW Leistung betrieben. Seit 1800 blühte am Rheinfall aber auch der Tourismus in all seinen Formen (Ilg 1997). Deshalb setzte gegen das Projekt ein wahrer Sturmlauf der öffentlichen Meinung an. In Schaffhausen fürchtete man, dass keine Fremden mehr den Rheinfall aufsuchen würden, wenn sich dessen Wasser "statt in Regenbogen in Pferdestärken auflöste" (Niederhauser 1983). Die Schaffhauser Kantonsregierung lehnte das Konzessionsprojekt jedenfalls aus Rücksicht auf die Schönheit des Rheinfalls ab. Die Aluminiumhütte - es war die erste in Europa - entstand aber trotzdem. Sie hielt sich an die bestehende Wasserkraftnutzung, modernisierte und elektrifizierte jedoch die Anlagen. Eine zweite Erneuerung verwandelte 1948 bis 1950 die verschiedenen kleinen Maschinenhäuser und das Gewirr von Druckleitungen in das heutige, mit 4400 kW verhältnismäßig kleine Rheinkraftwerk Neuhausen.

Bild 4: Projektiertes Kraftwerk am Rheinfall, 1886. (aus Schweiz, Bauzeitung vom 12. 3. 1887)


Seit 1891 wird Elektrizität über weite Entfernungen transportiert

Es wurde bereits geschildert, wie die ersten Kraftwerke ihre Kundschaft mit Seiltransmissionen und Transmissionswellen direkt bedienten. Das begrenzte die Energieversorgung auf einige hundert Meter. Eine Alternative in Form der Druckluftversorgung wurde ebenfalls angedeutet. Sie hätte den Versorgungsbereich auf einige Kilometer erweitert. Nach einem ähnlichen Prinzip arbeitete die Druckwasserversorgung, wie sie etwa Genf kannte. Dort betrieb das 1883 bis 1886 erstellte Rhonekraftwerk Coulouvrenire mehrere Pumpen, die das städtische Druckwassernetz beschickten. An dieses konnten die Gewerbetreibenden ihre Wassermotoren (Wasserkolben-Maschinen) anschließen. Und Ende 1889 zählte man mehr als 200 derartige "Hausturbinen". Aber auch zu Beginn der Elektrifizierung arbeiteten die Kraftwerke im sogenannten Inselbetrieb. Das heißt, sie lieferten den Strom an einen eigenen Kundenkreis in einer ebenfalls auf einige Kilometer begrenzten Umgebung. Es gab keine weitreichenden Stromleitungen und kaum eine Vernetzung.

Das änderte sich, als die Starkstromübertragung entwickelt wurde, zuerst für Gleichstrom, dann für Wechselstrom. Wegbereitend war unter anderem die 1891 über 175 km erstellte Wechselstromleitung von Lauffen am Neckar nach Frankfurt am Main. Damit schlug die Geburtsstunde des modernen Kraftwerks als Stromfabrik, die nicht mit einer bestimmten Industrie oder Stadt verquickt, sondern eigenständig ist. Ihr erstes und stolzes Beispiel am Hochrhein wurde das 1894 bis 1898 gebaute Kraftwerk Rheinfelden (Bild 5). Seine Betreibergesellschaft gab sich denn auch folgerichtig den Namen Kraftübertragungswerke Rheinfelden. Es galt mit seinen 20 Turbinenpaaren und einer Gesamtleistung von 12000 kW als europäisches Großkraftwerk.

Von der Bauweise her war das Kraftwerk Rheinfelden aber bloß eine vergrößerte Ausführung bisheriger Niederdruckanlagen. Es besteht im Wesentlichen aus einem, den Fluss querenden Damm, der das Wasser in einen Uferkanal drängt und einem entsprechend am Ufer stehenden Maschinenhaus. Der Damm wurde freilich 1902 mit Schützen zu einem Wehr erweitert. Ähnlich wurde das 1908 bis 1912 erstellte Kraftwerk Augst-Wyhlen konzipiert. Den Rhein durchquert nur das Wehr. Die beiden Maschinenhäuser befinden sich mit den zugehörigen kurzen Kanälen am linken und rechten Ufer. Erst beim 1908 bis 1914 erfolgten Bau des Kraftwerkes Laufenburg wagte man es, das Wehr und das Maschinenhaus nebeneinander in den Fluss zu stellen (Bild 6). Vielleicht erinnert darum seine Architektur an eine Burg. Seine Botschaft wäre dann: "Der Fluss ist gebändigt, der Mensch bleibt Sieger!" Vielleicht passt sich diese Architektur aber auch einfach dem trutzigen Städtchen Laufenburg an.

Bild 5: Kraftwerk Rheinfelden, erstellt 1894–1898. Blick stromaufwärts (heutiger Zustand).

Bild 6: Kraftwerk Laufenburg, erstellt 1908–1914. Blick stromaufwärts (heutiger Zustand).

Bild 7: Kraftwerk Eglisau, erstellt 1914–1917. Blick stromaufwärts.

Bild 8: Kraftwerk Birsfelden, erstellt 1950–1954. Blick stromaufwärts.

Bild 9: Kraftwerk Rheinau, erstellt 1951–1956. Blick stromaufwärts.

 

Vom Strompalast zur Stromfabrik

Nun setzte eine Proliferation von Kraftwerkprojekten am Hochrhein und anderswo ein. Ab 1914 zeigten sich die Behörden besorgt darüber, dass aus der 170 km langen Hochrheinstrecke bloß die wasserwirtschaftlichen Rosinen herausgepickt werden könnten. Das hätte den von ihnen gewünschten oder zumindest erwarteten Vollausbau des Hochrheins erschwert. Sie strebten deshalb ein Gesamtkonzept an, über das sich die Uferstaaten 1922 einigten: Man sah die Erstellung von insgesamt 12 zusammenhängenden Stufen von Hochrheinkraftwerken vor. Dabei wurde auch der grundsätzlich befürworteten Hochrheinschifffahrt Rechnung getragen (Chatelain 1990).

Schon Ende der 10er Jahre des 20. Jahrhunderts bahnten sich die von Fortschrittsglauben und Entwicklungsdrang geprägten 20er Jahre an, die roaring twenties. Einen Eindruck der damals herrschenden Stimmung vermittelt das 1914 bis 1919 erstellte Kraftwerk Eglisau (Bild 7). In technischer Hinsicht folgt es der Anlage Laufenburg. Hinsichtlich seiner architektonischen Gestaltung gleicht es aber einem Palast. Rot gefärbt überragt es seine grüne Umgebung und verkündet den Triumph der Elektrizität. Ein weiterer Strompalast, wenn auch nicht so auffällig, wurde mit dem Kraftwerk Ryburg-Schwörstadt erstellt. Dieses trägt alle Merkmale eines modernen Flusskraftwerks und ist mit seinen 120000 kW noch heute die leistungsstärkste Anlage am Hochrhein.

Wie ein Kontrapunkt wirken die in den folgenden Krisen- und Kriegsjahren gebauten Kraftwerke Albbruck-Dogern (1929-1934) und Reckingen (1939-1948). Sie sind völlig unpräteniös gestaltet - es sind nüchterne Stromfabriken. Von irgendeinem Triumph ist da nichts zu spüren. Das Technische steht im Vordergrund. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte aber wieder ein Stimmungshoch ein. Das deutsche Wirtschaftswunder ergriff auch die Schweiz und führte hüben und drüben zu einem Aufschwung. Am Hochrhein manifestierte sich das 1950 bis 1954 im Bau eines neuen Strompalasts, des Kraftwerkes Birsfelden (Bild 8). Seine Architektur huldigte zwar weniger der Elektrizität als der wieder selbstbewusst werdenden Gesellschaft. Und diese nahm das gerne zur Kenntnis, etwa mit dem Prädikat: "Birsfelden, die Miss Europa unter den Kraftwerken!"

Völlig anders reagierte die Öffentlichkeit beim Kraftwerk Rheinau (1951-1956). Nach Ansicht breiter Kreise sollte jenes in der idyllischen Landschaft des Klosters Rheinau gar nicht gebaut werden. Im Projektstadium gab es deshalb verschiedene Protestversammlungen und Protestmärsche. Auch wurde der für den Bau notwendige Staatsvertrag zwischen Deutschland und Schweiz angefochten. Das führte in der Schweiz zu einer Volksabstimmung, die jedoch zu Gunsten des Projekts ausfiel. Dementsprechend erfolgte die Verwirklichung zwar zügig, aber mit großer Rücksichtnahme auf die Umgebung (Bild 9). Man verzichtete auf jegliche Prunkbauten, ja, man glich das Maschinenhaus äußerlich sozusagen den benachbarten Rebhäuschen an.

Die Vollendung der Wasserkraftnutzung

Schließlich wurden am Hochrhein noch die Kraftwerke Schaffhausen (1960-1963) und Säckingen (1961-1966) erstellt. In Schaffhausen ging es darum, die von 1866 stammende alte Anlage mit dem Moserdamm durch eine moderne und stärkere abzulösen. Die für beide Kraftwerke gewählte Bauweise ist dieselbe (Bild 10). Die Turbinen mit den zugehörigen Generatoren werden nicht von einem hochaufragenden Maschinenhaus überdacht, sondern nur von einzelnen Deckeln. Diese werden bei Bedarf von einem großen Portalkran bestrichen. Alles ist sehr sachlich gestaltet, zweckmäßig und kompakt. Geduckte Kraft wird suggeriert.

Als 12. und letzte Stufe hätte noch jene von Koblenz-Kadelburg folgen sollen. Allein, der Bauherr stellte 1966 die bereits begonnenen Arbeiten ein. Er betrachtete die Energiegestehungskosten gegenüber jenen eines Kernkraftwerks als zu hoch. Und solche Kernkraftwerke waren damals sowohl in Deutschland wie in der Schweiz schon im Bau. Die entsprechenden Kostenschätzungen waren optimistisch, und die Entwicklungsszenarien geradezu euphorisch. Die Zukunft sollte der Kernkraft gehören. Das Zeitalter der Wasserkraft schien vorbei zu sein.

Modernisierungen

Drei Hochrheinkraftwerke dienen heute nebenbei als Unterbecken für Pumpspeicherwerke im Schwarzwald. So stellt das Kraftwerk Albbruck-Dogern seit 1953 einen Teil seines Stauraums und seit 1978 den Inhalt seines Aubeckens - einem eigens zu diesem Zweck errichteten Ausgleichbecken - dem Schluchseewerk zur Verfügung. Und ebenso bewirtschaften seit 1966 die Kraftwerke Säckingen und Ryburg-Schwörstadt ihre Stauräume zu Gunsten des Hotzenwaldwerkes. Das bedeutet, dass periodisch Rheinwasser in den Schwarzwald gepumpt und anschließend auf dem Rückweg turbiniert wird. Damit wird die Bandenergie der Rheinkraftwerke auf willkommene Weise durch Spitzenenergie ergänzt.

Bild 11: Erneuerung des Kraftwerks Laufenburg 1988–1994. Ersatz der alten Turbinen durch Straflo-Turbinen. Zeichnung Escher-Wyss.

 

Im Verlauf der Jahrzehnte ihres Bestehens wurden fast alle Hochrheinkraftwerke teilweise erneuert oder erweitert. Hier seien nur einige wesentliche Arbeiten erwähnt. Davon, dass das älteste Kraftwerk Schaffhausen 1960 bis 1963 neu gebaut wurde, war ja bereits die Rede. Die nächstältesten Kraftwerke Rheinfelden, Augst-Wyhlen und Laufenburg erhielten in den 80er Jahren neue Konzessionen, die sie zu einem Höherausbau (höheres Schluckvermögen) verpflichteten. Das führte beim Kraftwerk Laufenburg 1988 bis 1994 zu einer Verbesserung der Zuströmungsverhältnisse und dem Ersatz der zehn alten Turbinen durch ebensoviele neue und leistungsfähigere (Bild 11). Auf ähnliche Weise wurde im Kraftwerk Augst-Wyhlen anfangs der 90er Jahre ein Teil der alten Turbinen ausgewechselt. Im Falle von Rheinfelden sah man gar einen vollständigen Neubau der ganzen Anlage vor. Doch folgte die Baubewilligung dafür erst im September 1998. Es scheint, dass die hohen Energiegestehungskosten heute - das heißt im Zeichen der europäischen Marktöffnung - den Baubeginn verzögern. Zur Zeit läuft die Planung für eine Erneuerung des Kraftwerkes Eglisau auf Hochtouren. Die entsprechende Neukonzession wurde im Dezember 1998 erteilt.

Weitere größere Bauarbeiten fanden in Birsfelden und Säckingen statt. In Birsfelden wurde 1975 bis 1979 die bestehende Schiffsschleuse durch eine zweite ergänzt. In Säckingen erfolgten um 1990 Flussbaggerungen, die den Einstau des Oberliegers Laufenburg verringerten. Bei verschiedenen Hochrheinkraftwerken suchte man mit kleineren Maßnahmen auch ökologische Zielsetzungen zu verwirklichen.

Trotz Erstem und Zweitem Weltkrieg konnten die Kraftwerke unbeirrt weiterarbeiten

Erstaunlich und hervorzuheben ist schließlich noch Folgendes: Der Ausbau und der Betrieb der Hochrheinkraftwerke überdauerte den Ersten Weltkrieg (1914-1918) wie den Zweiten (1939-1945). Dabei standen die Uferstaaten ja nicht im selben Lager. Die politischen Spannungen zwischen Deutschland und der Schweiz waren bisweilen beträchtlich. Und die Schweizer besetzten die Grenze und damit große Teile des Hochrheins militärisch. Das äußerste sich beispielsweise in ausgedehnten schweizerischen Verteidigungswerken. Doch wurde dadurch der Kraftwerksbetrieb nirgends gestört. Die meist aus beiden Ländern stammenden Belegschaften gingen ihrer Arbeit unbeirrt nach und verteilten ihren Strom gemäß den Konzessionen nach "links und rechts". Die Hochrheinkraftwerke blieben auch von Bombardierungen und Beschießungen verschont. Eine am Ende des Zweiten Weltkriegs ausgearbeitete amerikanische Generalstabsstudie sah zwar eine sukzessive Sprengung der Hochrhein-Stauwerke zwecks Erzeugung einer großen Schallwelle im umkämpften Oberrhein vor. Doch blieb diese Studie glücklicherweise nur ein Planspiel.

Heute produzieren die Hochrheinkraftwerke ohne Neuhausen im Durchschnittsjahr rund 4,5 Milliarden KWh (Tabelle 1). Entsprechend dem Gefällsanteil gehören davon 44% Deutschland und 56% der Schweiz.

Tabelle 1: Übersicht über die Hochrheinkraftwerke ohne das Kleinkraftwerk Neuhausen; heutige Produktionszahlen

 

Literaturhinweise

Brogle, Fritz, 1952: Die Flößerei der oberrheinischen Gebiete Laufenburg-Basel. Verlag A. Fricker, Frick, 93 S.

Chatelain, Richard, 1990: Die Nutzbarmachung der Wasserkräfte am Hochrhein, Zeitschrift Wasser, Energie, Luft, Heft 11/12, Baden, S. 336-338.

Grim, Julius, 1995: Die alte Rheinmühle in Konstanz und ihre Wirkung als Regulierwehr. Schriftenreihe der Frontinus-Gesellschaft, H. 19, Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas und Wasser, Bonn, S. 59-69.

Härri, René, 1985: Sanierung der beiden Rheinfallfelsen. Zeitschrift Schweizer Ingenieur und Architekt, Nr. 20, Zürich, S. 453-457.

Ilg, Anja, 1997: Abenteuer Rheinfall. Verlag am Platz, Schaffhausen, 47 S.

Niederhauser, P., 1983: Schaffhausen-Moserdamm, Rheinfallwerke, Pumpspeicher, in "die Geschichte der Gewässerkorrektionen und der Wasserkraftnutzung in der Schweiz", Verlag Pro Aqua AG, Basel, S. 14.1-14.19.

Stoll, Sandro, 1997: Zeit im Strom. Herausgeber: Elektrizitätswerke der Stadt Schaffhausen, Schaffhausen, 168S.


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