Zeitschrift 

Der Bürger im Staat

Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

Medizin - Naturwissenschaft - Technik
 
 
 

Heft 3/2000 , Hrsg.: LpB

 

Inhaltsverzeichnis
 

Nicht länger Todesursache Nr. 1

Herz-Kreislauf-Krankheiten

Die Fortschritte einer leistungsstarken Herzmedizin

Von Kurt Sauerborn
Kurt Sauerborn arbeit seit Jahrzehnten als Wissenschaftsredakteur beim Hörfunk, erst beim SDR, dann beim SWR. Er hat sich vor allem einen Namen als Medizin-Redakteur gemacht, nahezu legendär in der Sendung „Ruf Heidelberg …“ bzw. später „Ruf Mannheim …“

Die Fortschritte der Herz-Kreislauf-Medizin sind beträchtlich: mit Hilfe besserer Diagnose-Techniken, pharmazeutischer Innovationen, der Anwendung minimal-invasiver Operationsmethoden auch auf diesem Gebiet. Xenotransplantationen, etwa von Schweineherzen, treten an die Stelle von Transplantationen der Organe Verstorbener, womit auch das Problem zu geringer Organspenden gelöst würde. Selbst Kunstherzen scheinen in absehbarer Zeit möglich zu sein. Das Leben kann so verlängert werden. Ob es dann aber in jedem Fall noch lebenswert ist, ist eine andere Frage.
Red.


Ein bevorstehender Platzwechsel auf der Liste der Todesursachen

Überraschungen kommen manchmal aus einer Richtung, die man nun gar nicht erwartet. So wurde im März beim Deutschen Krebskongress 2000 in Berlin erstmals einer breiten Öffentlichkeit bekannt, dass es nach Einschätzung von Epidemiologen, Medizinstatistikern und anderer Prognostiker im Gesundheitswesen bis zum Jahr 2010 einen Platzwechsel auf der Liste der Todesursachen geben wird. An erster Stelle sollen dann nicht mehr die Herz-Kreislauf-Krankheiten stehen, sondern die Krebserkrankungen. Diese Voraussage unter Krebsmedizinern ist weder als Eingeständnis mißzuverstehen, in der Tumormedizin werde schlechte Arbeit geleistet noch als Nestbeschmutzung. Nein, gewiss nicht, die Krebsärzte machen ihren Job genau so gut wie ihre Kollegen in anderen medizinischen Disziplinen. Nach wie vor stehen sie freilich vor der Tatsache, daß Krebs eine sehr komplexe Erkrankung ist, die nicht nur ein Organ, sondern den Organismus befällt. Wenn ein Herzchirurg einen Bypass anoperiert, sichert er in der Regel auf einen Schlag wieder den Blutfluss zum Herzen. Das Organ Herz und der Körper erholen sich darauf hin. Doch welches Ergebnis kann ein operativer Eingriff in der Tumormedizin bringen? Der Chirurg nimmt ein entartetes Stück Darm weg, aber der Organismus des Patienten leidet unter den längst vorhandenen Metastasen weiter bis zum bitteren Ende. Fortschritte und Mißerfolge in der Medizin liegen nahe beieinander. Und schon deswegen sind statistische Voraussagen für das Jahr 2010 mit Vorsicht zu geniessen. Doch eines muß man den Krebsmedizinern lassen: Sie zollen ohne Rücksicht auf die Reputation des eigenen Standes den Kollegen vom anderen Fach indirekt ein dickes Lob dafür, welche Erfolge die Herzmedizin jetzt schon und erst recht künftig vorzeigen kann, unabhängig davon, ob die Prognose stimmt oder nicht. Deswegen folgen hier – beispielhaft – einige Beweise dafür, dass an der epidemiologischen Prophezeiung: „Platzwechsel auf der Liste der Todesursachen“ einiges stimmen kann.

In der Diagnose: Herzkatheter adé?

Beim Deutschen Röntgenkongress im Mai 2000 in Wiesbaden überschlugen sich auch gestandene Experten mit positiven Werturteilen über Röntgenbilder, die mit einer weiterentwickelten Technik der Computertomografie (CT) entstanden waren. Von einer „bisher nie dagewesenen Bildqualität“ sprachen sie. Und der Erstanwender dieser Technik, Prof. Dr. Maximilian Reiser, Direktor des Instituts für Radiologische Diagnostik am Klinikum Großhadern in München schwärmte: „Ich habe mich lange genug mit der Computertomografie beschäftigt, aber was diese Röntgentechnik jetzt leistet, das ist einfach faszinierend“. Was ist passiert? Die CT liefert bekanntlich Schnittbilder aus dem menschlichen Körper. Ohne banal zu werden, kann man diese Aufnahmetechnik durchaus mit dem Aufschneiden einer Salami vergleichen. Erst wenn man geschnitten hat und eine Scheibe betrachtet, weiß man einiges über die Qualität der Wurst: wie grob oder fein ihre Bestandteile sind, wieviel Fleisch oder Fett sie enthält usw. Um bei der CT ein solches Schnittbild des Menschen zu erhalten, umkreist eine Röntgenröhre den Patienten, der auf einem Schlitten liegt und langsam unter dem Strahlenkreis durchgeschoben wird. Bei der neuen, weiterentwickelten CT-Technik ziehen nun vier Röntgenquellen für gleichzeitig vier Schnittbilder ihre jetzt spiralförmigen Kreise um den Patienten. Der muß 25 bis 35 Sekunden den Atem anhalten und fertig sind die Schnittbilder. Pro Bild ist die aufgenommene Körperschicht nur 1mm dünn, das heißt die Bildauflösung mit all den Details, die da sichtbar werden, ist exzellent. Jedes der Bilder wird mit aufwendigen Rechenprogrammen digitalisiert, landet also im Computer. Und der Betrachter am Monitor hat nun alle Möglichkeiten, sich zu informieren. Er schaut sich beispielsweise das Herz und die Herzkranzgefäße dreidimensional in Gesamtansicht an, dreht und wendet das Bild nach allen Richtungen oder er holt sich ein Detail heraus, etwa die Innenansicht eines Blutgefäßes. Und spätestens jetzt horchen auch Experten auf. Die hohe Bildauflösung der neuen CT-Technik ermöglicht Innenansichten von Blutbahnen. Endoskopie aus Blutgefäßen ohne Optik, ohne Katheter. Zwar konnte man bisher schon mit Ultraschall-Sonden, die in die Speiseröhre eingeführt werden, Innenansichten des Herzens und großer Blutgefäße sichtbar machen, aber die Bildauflösung reicht dabei nicht für Details. Jetzt ist der Zustand der Gefäßwände zu betrachten und zu beobachten, wieviel von einer Blutbahn verschlossen ist und womit. Die Herzmediziner sagen: „Wir kriegen nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Aussage über den Gefäßverschluss“.

Die neuen Diagnosemöglichkeiten werden die Herzmedizin in vielerlei Hinsicht verändern

Die hoch auflösenden CT-Bilder werden die Herzmedizin in vielerlei Hinsicht verändern. 
1. eignet sich diese Technik als nicht-invasive Diagnostik, um das Arteriosklerose-Risiko und damit die Gefahr eines Herzinfarkts abzuschätzen. Nicht-invasiv heißt, der Körper muß nicht wie bei einer Untersuchung mit dem Katheter mit einem Schnitt geöffnet werden. Genau das geschieht ja bei einem Katheter, der mit einer Körperöffnung in der Leistengegend durch die Blutbahn bis zum Herz vorgeschoben wird, eine nicht ganz risikoarme Prozedur. Die neue Technik arbeitet dagegen berührungslos und sogar mit einer etwas geringeren Strahlenbelastung als bei der herkömmlichen CT.
2. Der Herzkatheter wird zumindest in dem Teil seines Einsatzbereichs an Bedeutung verlieren, in dem es um die Inspektion von Blutgefäßen geht. Dies führt zu einer Umverteilung von Kompetenzen und Pfründen in der Medizin. Das Katheterisieren war bisher eine Domäne der Kardiologen. Reiser hat in weiser kollegialer Taktik die neuen Anwendungen in Zusammenarbeit mit Kardiologen entwickelt, nicht gegen sie.
3. Die Kosten für ein Computertomogramm der neuen Art belaufen sich auf 400,– DM, für eine Untersuchung mit dem Katheter einschließlich des dafür notwendigen, wenn auch nur kurzen stationären Aufenthaltes auf rund 2000,– DM. Seit 1 1/2 Jahren läuft in München eine Studie mit der neuen Methode an 70 Patienten. Bisher waren im Vergleich Katheter gegen CT 90% der Bilder deckungsgleich. Gesundheitspolitiker und Kassen werden aufmerksam werden.
4. Die neue CT-Technik ist ein Musterbeispiel dafür, wie wertvoll und erfolgreich interdisziplinäre Zusammenarbeit unter Wissenschaftlern sein kann. Kein Blockdenken, keine Lagergrenzen, Kooperation über das eigene Fach und den eigenen Horizont hinaus. Und davon profitieren Patienten und die Herzmedizin. Die hohe fachliche Aussagekraft der Bilder und die vergleichsweise geringen Diagnosekosten werden dafür sorgen, daß bestimmte Herz-Kreislauf-Leiden, wie eben die Arteriosklerose, früh erkannt und eine große Zahl von Herzinfarkten vermieden werden können. 
Andere bildgebende Verfahren werden natürlich ebenfalls technisch weiterentwickelt, so dass auch von der Ultraschall-Echokardiografie wie auch von der Kernspintomografie – beide Verfahren arbeiten ohne Röntgenstrahlen – künftig bessere Bildergebnisse zu erwarten sind. Die Industrie als Motor des Fortschritts schläft nicht.

Medikamente fürs Herz: Was heißt eigentlich noch Kontraindikation?

Nie zuvor wurden soviel eherne Regeln der medikamentösen Herztherapie außer Kraft gesetzt wie in den letzten 5 bis 10 Jahren. Und das ist auf die stürmische Medikamentenentwicklung zurückzuführen. Salopp formuliert handelt die Pharmaindustrie auch schon mal nach der Devise: Wir haben einen neuen Wirkstoff, jetzt brauchen wir nur noch eine Krankheit dafür. Und diese neue Substanz muß schnell auf den Markt. Folglich wird sie für möglichst wenige medizinische Indikationen amtlich zugelassen. Denn je mehr Indikationen desto länger laufen die erforderlichen klinischen Prüfungen und desto komplizierter wird der Akt der amtlichen Zulassung. Diese Zulassung hat als verbindliche Richtlinie therapeutische und juristische Konsequenzen. Wer beispielsweise als Arzt ein Medikament gegen Herzschwäche verschreibt, das aber nur zur Behandlung von Bluthochdruck zugelassen ist, der gerät in die Nähe eines justitiablen Kunstfehlers, wenn auf dem Beipackzettel die Herzinsuffizienz ausdrücklich kontraindiziert ist. Doch nicht einmal mehr auf einst eherne Regeln ist Verlaß in der Herzmedizin. Beispiel Betablocker. Für die Entdeckung dieser Wirkstoffgruppe gegen Bluthochdruck ist einmal der Nobelpreis verliehen worden. Kontraindikation Herzschwäche. Bis sich Amerikaner noch einmal das Wirkprofil eines bestimmten Betablockers, der in Deutschland entwickelt worden war, genauer angeschaut haben. Ergebnis: Einige Präparate mit Betablockern eignen sich hervorragend gegen die Herzinsuffizienz. Beispiel ACE-Hemmer. Diese Wirkstoffgruppe ist wesentlich jünger auf dem Markt als die Betablocker und war anfänglich auch nur gegen die Hypertonie, den Bluthochdruck, im Einsatz. Jetzt ebenfalls gegen Herzschwäche. Und an die Kombination beider Wirkstoffgruppen trauten sich Kardiologen jahrelang schon gar nicht heran, nach dem Motto: Das macht man nicht, Betablocker mit ACE-Hemmern zu kombinieren, denn es könnte theoretisch Komplikationen geben. Eine weitere, jetzt überholte Einstellung zugunsten vor allem von Patienten mit schwerer Herzschwäche. 

Pharmazeutische Innovationen

Noch einmal hinzuschauen in vorliegende Forschungsergebnisse, sie zu überprüfen, neu nachzudenken und einen anderen Therapieansatz als bisher zu suchen, wenn auch nur mit etwas geänderter Wirkstoff-Dosierung, wie das bei dem Betablocker der Fall war, das lohnt sich oft. Und es lohnt sich natürlich auch, neue Wirkstoffgruppen zu entwickeln. Beispiel: die Statine. Sie haben für Furore gesorgt in den letzten Jahren. Das sind jene Substanzen, die den Fettstoffwechsel günstig beeinflussen, den Cholesterinpegel senken, die Triglyceride in Schach halten, an der Innenwand der Blutgefäße verhindern, dass sich Beläge bilden usw. Mit solchen Substanzen ist ein wesentliches Risiko für Herzinfarkt, nämlich zu hohe Blutfettwerte, auszuschalten. Pharmazeutische Innovationen, immer spezifischer wirkende und wenigstens nebenwirkungsarme, wenn schon nicht -freie Präparate, tragen also wesentlich zu den Erfolgen der Herzmedizin bei. Medikamentös gut eingestellte Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz, um bei diesem Beispiel zu bleiben, entgehen jahrelang einer Herztransplantation oder dem Tod. Und die positive Entwicklung wird weiter gehen. Erinnert sei nur an die zahlreichen Ansätze mit der Gentherapie, die sich zum Teil schon in der klinischen Prüfung befinden. Beim Kongress der Sektion Herzkreislauf-Forschung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie im April 2000 in Mannheim berichtete Prof. Dr. Günter Breithardt, Präsident der Kardiologen: „Wir haben in den Altersgruppen der 50-60 und der 60-70jährigen in den letzten 10 – 20 Jahren schon einen Rückgang in der Sterblichkeit statistisch für alle Herzleiden um 30-40% zu verzeichnen. Das sind dramatische Erfolge. Nur ist das ein sehr enger Blickwinkel auf ein bestimmtes Alter und zu pauschal im Bezug auf alle Herzerkrankungen. Wenn man genau differenziert, liegen die Zahlen deutlich niedriger, aber auch das ist schon ein Fortschritt“.

Herzchirurgie: kleiner Ritz statt großer Schnitt?

Bei diesem Thema ist in der Herzchirurgie ebenso wie in der allgemeinen Chirurgie noch ein großes Lagerdenken zu spüren, und was für eines. In diesem Jahr werden weniger als 5% aller Herzoperationen endoskopisch, also mit einem minimal-invasiven Eingriff operiert. Ein schonender Eingriff ist längst üblich am Knie, der Gallenblase, den Eierstöcken, nur in der Herzchirurgie wird dieses Verfahren zögerlich angenommen. Das hängt damit zusammen, wie ein Herzchirurg ausgebildet ist, welche Operationstaktiken er gelernt hat, ob er lieber ein großes Operationsfeld vor sich sehen möchte oder sich quasi mit einem Blick durch ein Schlüsselloch in das Körperinnere begnügt. Und es hängt heutzutage vor allem damit zusammen, welches Verhältnis er zur Technik und speziell zur Computertechnik hat. Es gibt also auch eine Generationenfrage, Orthopäden haben mindestens schon 10 Jahre Erfahrungen sammeln können mit modernen Operationsmethoden. Leider noch viel zu wenig berücksichtigt werden die Wünsche der Patienten, denn: großer Schnitt bedeutet Öffnung des Brustkorbs über eine Länge von 30 bis 40 cm, Durchtrennen von Knochen, lange Liegezeit in der Klinik, Schmerzen. Minimal-invasiv operierte Herzpatienten können oft nach einer Woche nach Hause, erreichbares Traumziel, sagen deren Verfechter: 2 bis 3 Tage. Kleiner Ritz heißt: drei jeweils 1 cm große Löcher durch die Haut und zwischen die Rippen hindurch, durch die technische Miniatur-Instrumente in den Brustkorb eingeführt werden. Operationswerkzeuge, Glasfasern mit Licht zum Ausleuchten des Operationsfeldes, eine Videooptik usw. Der Chirurg arbeitet nur über Bilder, die er auf einem Fernsehmonitor sieht. Vorteil dieses Verfahrens: patientenschonender Eingriff, kurzer Klinikaufenthalt, wenig Schmerzen. Nachteil: bei akuten Komplikationen während dieses minimal-invasiven Eingriffs müssen die Herzchirurgen auf die große Brustkorböffnung umsteigen. Diese Art von Herzchirurgie wird inzwischen technisch aufgerüstet. An vier Herzzentren in der Bundesrepublik wird nicht nur minimal-invasiv operiert, sondern von einem Roboter gesteuert. Zwei dieser Zentren, Dresden und Leipzig, nehmen für sich in Anspruch, weltweit führend zu sein mit dieser Operationsmethode. Bei dem Herzchirurgen-Kongress in Luzern im Februar 2000 zog Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Mohr vom Herzentrum Leipzig einen historischen Vergleich: „Vor 100 Jahren haben die Chirurgen mit den gleichen Instrumenten operiert wie heute, Skalpell, Zange, Pinzette usw. Inzwischen sind zwar die Operationsmethoden verfeinert worden, aber wir benutzen noch die gleichen Werkzeuge wie damals. Ebenfalls vor 100 Jahren hat Carl Benz das erste Auto gebaut mit Blechschere, Zange, Hammer, Schraubenschlüssel usw. Und nun sehen Sie sich mal eine moderne Automobilproduktion von heute an. Da produzieren Maschinen Autos, hochpräszise Roboter, die vieles viel besser können als der Mensch.“ In der Tat ist hinreichend bekannt, dass Roboter und Roboterinnen nicht verheiratet sind, also nicht morgens schlechter Laune in den Dienst kommen, dass ihre Hände nicht zittern, weil sie vor dem Dienst Tennis gespielt oder am Abend zuvor zuviel Alkohol getrunken haben und dass sie nicht nach einem falschen Handgriff ausflippen, wie das bei einem Menschen ja vorkommen kann. Umgekehrt fehlt dem Roboter in der Chirurgie das taktile Feingefühl der menschlichen Hand, der Tastsinn, der bei Operationen darüber Auskunft gibt, wie fest ein Körpergewebe beschaffen ist und mit welchem Druck deswegen das Messer geführt werden muss. Im Moment noch fehlt dieses Feingefühl dem Roboter, denn derzeit entwickelt ein Fraunhofer-Institut einen Druck-Sensor für robotergestützte Operationen. Die technisch zweite Phase der minimal-Invasiven Eingriffe hat begonnen, sagt Mohr: „Die endoskopischen Eingriffe am Herzen, wie sie bisher vorwiegend vorgenommen werden, entsprechen in Analogie wie beim Chinesen zu essen. Mit Stäbchen.“ In dieser Situation beziehen nun beide Lager in der Herzchirurgie ihre Position: Die konventionell orientierten Chirurgen bleiben nach wie vor bei der großen Brustkorböffnung, die progressiven setzen auf technische und digitale Aufrüstung. Mohrs Kollege vom Herzzentrum Dresden, Prof. Dr. Stephan Schüler meint: „Gut, wenn wir die Hände des Chirurgen im Brustkorb des Patienten brauchen, dann bringen wir die auch dort hinein, aber ohne große Körperöffnung“.

Robotik in der Herzmedizin: drei computergesteuerte künstliche Chirurgenarme

Wer einen Operationssaal von innen kennt, wenn auch nur aus einem einigermaßen milieugerechten Film, der sollte sich von diesem Bild und Eindruck schnellstmöglich trennen. Der Herzchirurg von heute, der robotergestützt operiert, sitzt vor einer Konsole genannten Einrichtung, die man auch mit dem Wort Steuerpult beschreiben könnte. Er blickt auf ein großes, dreidimensionales Bild, und seine Hände greifen an Tasten und Steuerknüppel. Über eine „digitale Strecke“, also mit Datenübertragung bewegt er Operationswerkzeuge einschließlich Zubehör. Diese Werkzeuge sind Manipulatoren, technische Verlängerungen der Arme und Hände des Chirurgen. Ebenso die Finger, die aus mehrgliedrigen Stahlgelenken bestehen und mit sechs Freiheitsgraden schwenkbar sind. Arme, Hände und Finger des Chirurgen stecken technisch miniaturisiert, damit sie durch ein jeweils 1 cm großes Loch passen, tatsächlich im Brustkorb des Patienten. Und der liegt mehrere Meter vom Steuerpult entfernt auf einem Operationstisch. Wenn der Herzchirurg aus der Ferne nun den digitalen Befehl gibt: „Messer 2 mm nach unten, aber Handgelenk dabei um 3 Grad drehen“, dann führt der Roboter diese Anweisung präzise aus. Auch den nächsten Befehl: „das gleiche, nur jetzt 3 mm weiter rechts und Handgelenk in Gegenrichtung“. Für den guten Blick in das Körperinnere sorgen hervorragende Kleinst-Objektive, die besser als manches menschliche Auge sehen und eine bis zu 10fache Vergrößerung des Objektfeldes ermöglichen. Präzise wie nie zuvor lässt sich mit dieser Technik operieren, sagen ihre Verfechter. Mohr und Schüler wissen, dass sie ihre skeptischen Kritiker im Lager der konventionellen Herzchirurgie und letztlich auch die Patienten nur dann von den neuen Methoden überzeugen können, wenn sie Operationserfolge vorweisen, die mit denen konventioneller Herzchirurgie mindestens identisch sind. Und diese Daten haben sie inzwischen. Bewährt hat sich die neue Methode vor allem bei Operationen an den Herzkranzgefäßen – die stellen mit rund 75% ohnehin den größten Anteil in der Herzchirurgie dar –, aber auch schon an Herzklappen und bei angeborenen Herzfehlern. Kein Vorteil ohne Nachteil, wobei die Akzente eindeutig gesetzt sind: es gibt keine entscheidenden Nachteile mehr in fachlich, herzchirurgischer Hinsicht, sondern in der technischen Handhabung der Geräte. „Die Operationen dauern einfach noch zu lang“, räumt Schüler ein, „die Präzision, mit der wir die künstlichen Arme und Hände führen müssen, erfordert Zeit. Wir müssen die Operationen auch völlig anders planen als konventionell. Denken Sie nur daran, dass der Chirurg nicht wie im realen Operationssaal keinen Assistenten hat.“ Und damit ist das Geheimnis gelüftet, warum der Roboter-Chirurg mit drei Armen arbeitet. Der dritte ist der digitale Assistent, der z.B. eine Körperhöhle spreizt. Sogar ein vierter Arm im Brustkorb ist bei komplizierten Eingriffen einsetzbar. Und damit öffnet sich eine völlig neue Dimension der robotergestützten Herzoperationen. Es arbeiten zwei Herzchirurgen gleichzeitig an verschiedenen Steuerpulten in der Brust des gleichen Patienten. Es gilt also noch viel zu lernen, viel zu experimentieren mit diesen neuen Operationsmethoden, und deswegen können sich konventionelle Chirurgen-Kollegen noch beruhigt zurücklehnen: so schnell wächst da keine ernst zu nehmende Konkurrenz heran. Und sie nehmen ein weiteres Argument zum Beschwichtigen für sich in Anspruch. In den USA, dem Schrittmacherland des Fortschritts, sind diese neuen robotergestützten Herzoperationen von der amerikanischen Aufsichtsbehörde FDA noch nicht zugelassen. Diese Tatsache hat auch bei uns schon in Ethik-Kommissionen entsprechender medizinischer Fachgesellschaften Diskussionen ausgelöst, mit vorläufig unentschiedenem Aufgang. Stephan Schüler ist optimistisch:„Wir haben bewiesen, daß man eine komplexe Bypassoperation über drei 1 cm große Schnitte fachgerecht machen kann. Allein diese Tatsache zeigt, wohin die Richtung geht. Und das ist erst der Anfang.“

Im Interesse des Patienten

Dass sich die Herzchirurgie in Richtung minimal-invasive Eingriffe bewegt, kann nur im Interesse der Patienten liegen. Sie wünschen sich schonende Verfahren, die den Gesamtorganismus wenig belasten, nicht nur kurze Liegezeiten und wenig Schmerz. Und ein Kriterium für organismusschonende Operationen ist, ob eine Herz-Lungen-Maschine (HLM) für eine Operation verwendet werden muss oder nicht. Diese Maschine rettet zweifellos Leben, hat also einen hohen Stellenwert in der Herzmedizin, aber sie belastet auch den Körper, weil z.B. während der Operation das Blut in diesen Apparat ausgeleitet wird. Das hat Folgen für das Blutbild und für die Abwehrkraft des Patienten, für sein Immunsystem. Der Patient braucht außer der Operation zusätzliche begleitende medikamentöse Therapien, die solche Mängel wieder ausgleichen, aber sehr teuer sind. Und schaut man sich nun einmal die Leistungsbilanz der deutschen Herzchirurgie für das Jahr 1999 an, dann stehen da interessante Zahlen: an allen rund 122 000 konventionellen Herzoperationen war rund 97 000 mal die HLM beteiligt, also mit einem überwiegenden Anteil. Bei den rund 3 900 minimal-invasiven Eingriffen ist das Verhältnis genau umgekehrt: bei 2 900 davon war die HLM nicht nötig. Also der überwiegende Teil verlief hier schonend. Es ist völlig klar, daß sich nicht alle Herzleiden für einen minimal-invasiven Eingriff eignen und schon deswegen die HLM statistisch überproportional erscheint. Man kommt oft nicht ohne sie aus, aber der Trend für Vorteile des anderen Verfahrens ist genau so deutlich.

Statt Transplantation Kunstherz?

Den Tod auf der Warteliste gibt es noch immer, nicht nur in Deutschland, obwohl hier der Operationsstau in den letzten Jahren deutlich abgebaut werden konnte. Doch die Zahl der Organspenden ist rückläufig. Folglich sank die Zahl der Herztransplantationen von rund 550 im Jahr 1997 auf 500 im Jahr 1999. Nach einer Statistik der europäischen Koordinationsstelle für Transplantationen Eurotransplant starben 1998 20% der Patienten auf der Warteliste für Herztransplantationen, 30% auf der für Lungenübertragungen und 40% auf der für die kombinierte Herz-Lungen-Verpflanzung. Damit die Patienten den Zeitpunkt der für sie lebensnotwendigen Transplantation erreichen und nicht früher sterben, mussten in den letzten Jahren die Herzchirurgen immer mehr die Hilfe der Technik in Anspruch nehmen. Und tatsächlich gelang es in 75 bis 80% der Fälle mit technischen Systemen, die Wartezeit zu überbrücken, bis das passende Spenderherz eintraf. Doch diese Lebenserhaltungssysteme waren und sind sperrige Apparate, an die ein Patient über Leitungen angeschlossen ist. Die Energieversorgung, sprich die Batterie, muß auf Rädern neben dem Kranken hergezogen werden. An der Schnittstelle Mensch-Maschine, also dort wo die Kabel in den Körper eindringen, besteht immer die Gefahr einer Infektion mit Entzündung. Und das Risiko einer Embolie ist hoch, weil sich in dem maschinell umgewälzten Blut Gerinnsel bilden können. Ein Risiko, das auch schon von den mechanischen Herzklappen her bekannt ist. Immer wenn Blut mit einer fremden Oberfläche in Berührung kommt, neigt es zur Gerinnung. Ein solches System kann also, um möglichst alle Risiken gering zu halten, nur wörtlich „Leben erhalten“ bis zur hoffentlich möglichen Transplantation. Von einem echten Kunstherzen lässt sich eigentlich erst seit November 1999 sprechen. Da hat nämlich weltweit erstmals Prof. Rainer Körber im Herzzentrum Bad Oeynhausen ein kompaktes technisches Gebilde in einen Menschen eingebaut, eine Pumpe mit integrierter Stromversorgung. Für diese Einpflanzung von Technik wählt er nur Patienten aus, die nicht auf der Warteliste stehen, denen nicht einmal mit einer Transplantation zu helfen wäre, weil sie multimorbid sind und die nicht vertragen würden oder gegen Medikamente allergisch reagieren, die später nach der Organübertragung zur Unterdrückung der Körperabwehr fällig wären. „Wenn wir jetzt nachweisen können, daß wir solchen Menschen, die keine Chance zum Überleben haben, mit dieser implantierbaren kompakten Technik helfen können“, sagt Körber, „dann sind wir auf dem Weg zur Dauerlösung und damit zu einer technischen Alternative zur Organ-Transplantation. Wenn Sie mal zurückdenken und sich an die ersten 100 Einsätze schwerfälliger Maschinen erinnern, an die Menschen angeschlossen waren, das ist gar nicht so lange her, da betrug die Überlebenszeit im Schnitt 29 Tage. Mit solchen Ergebnissen würden Sie heute bei jeder Ethik-Kommission durchfallen, die über den Einsatz der Therapie zu entscheiden hat“. Körbers Patienten haben mit dem voll implantierbarem Kunstherz inzwischen Monate überlebt. Über die Lebensqualität der betroffenen Patienten gibt es freilich unterschiedliche Aussagen. Man könne sich mit einem solchen Kunstherz ins Auto setzen und selbst nach Sizilien fahren, wenn man nur das Aufladen der Herzbatterie nicht vergisst, ist zu hören. Duschen und schwimmen sei möglich, weil der Körper nicht wegen Leitungen und Schläuchen nach außen offen ist. Doch genau dieses Aufladen als Symbol dafür, wie abhängig man von der Technik ist, so die andere Meinung, drücke doch sehr auf die Seele. „Alle halbe Stunde an die Steckdose zu müssen und den eingepflanzten Akku durch die Haut hindurch nachzuladen, lässt kein Freiheitsgefühl aufkommen“. Hier hilft die Technik weiter. Inzwischen gibt es für dieses Kunstherz Akkus mit einer Kapazität von 4 Stunden und die Batterien werden immer kleiner. Interessanterweise kommen diese Kunstherzen aus den USA nach Bad Oeynhausen. „Weil unsere Klinik eine große Erfahrung hat sowohl mit lebenserhaltenden Systemen als auch mit Transplantationen, können wir hier die neueste Technik testen. Unter Murren der Aufsichtsbehörden in den Staaten, denn die Entwicklung dieses Kunstherzes ist mit öffentlichen amerikanischen Geldern gefördert worden. Es bleibt wohl nur eine Frage der Zeit, bis wir die Maschinchen kaufen müssen,“ argwöhnt Körber. Doch er tröstet sich gleich mit der internationalen Reputation, die er mit den ersten Einpflanzungen von Kunstherzen gewonnen hat: „Es gibt sicher auch in den USA Spitzenkliniken, aber dass wir hier mitmischen können, beweist, dass die deutsche Herzmedizin generell international an der Spitze liegt. “Die ersten 10 Kunstherzen kommen kostenlos nach Deutschland, hier werden lediglich die Operationskosten bezahlt. Nach den Tests soll ein Kunstherz zwischen 100 000,– und 150 000,– DM kosten, soviel wie eine Transplantation. Und Kunstherzen, die andere Hersteller gerade entwickeln, sorgen für Wettbewerb. Inzwischen ist in Freiburg sogar einem dreijährigen Mädchen ein Kunstherz eingepflanzt worden.

Von Schweinen und Menschen: Xenotransplantationen

Nein, keine Affen, keine menschenähnlichen Primaten sind mehr als Organlieferanten für Menschen vorgesehen, sondern Schweine. Und das aus zwei Gründen: Schweine stehen in ausreichender Menge zur Verfügung, und sie lassen sich genetisch so manipulieren, daß ihre Organe weniger als üblich bei Fremdkörpern vom Menschen abgestoßen werden. Unter einer wichtigen Voraussetzung freilich: nicht nur das Schwein muß dann als so genanntes „transgenes“ Tier biologisch auf Menschen angepasst werden, sondern umgekehrt im gewissem Umfang auch der Mensch auf Schweineorgane. Der Herzchirurg Prof. Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), ein Pionier der Xenotransplantationen, also der Übertragung artfremder Organe auf Menschen, benutzt für diese Aufgabe einen Fachbegriff: „Hier lautet das Stichwort, das wahrscheinlich den Durchbruch bringen wird, Toleranzinduktion. Wir müssen den Empfänger eines solchen Organs vorher sozusagen impfen. Wir brauchen eine neue Taktik, für solche Fälle die Organabstossung zu verhindern.“ Konkret heißt das: Ob ein Organ abgestoßen wird oder nicht, entscheidet sich auf der Oberfläche von Körperzellen. Dort sitzen Eigenschaften und Merkmale, die diesen unerwünschten Prozess in Gang bringen. Beim Spender Schwein ist die Sache relativ einfach. Mit modernen Methoden der genetischen Manipulation lassen sich transgene Schweine züchten, also Tiere mit Zelleigenschaften, die über ihre Art hinausgehen und in diesem Fall menschlichen Körperzellen ähneln. Auf der anderen Seite wird es wohl keinen transgenen Menschen geben. Der wird nicht als verfügbare Masse gezüchtet werden. Aber trotzdem muß die Körperabwehr des Organempfängers Mensch auch auf das Fremdtransplantat eingestellt werden, indem beispielsweise mit dieser Art Impfung seine Immunreaktion gedämpft wird. Es sind also als zweiter Schritt menschliche Körperzellen gefragt, die menschenfreundliche Schweinezellen akzeptieren. Mit dem vornehmen Begriff der Toleranzinduktion wird also als Gegentaktik der Mensch – mit Verlaub – in seinen Zellmerkmalen etwas schweineähnlicher gemacht als er von Natur aus ist, wenn auch nur zeitlich begrenzt. 

Da schlägt der Zeitgeist zu: die Tierschützer

In dieser Situation schlägt nun mit seiner bekannten Erbarmungslosigkeit der Zeitgeist zu. Haverich: „Die Tierschützer wehren sich, ich muß schon sagen mit Händen und Füßen gegen die Xenotransplantation. Spricht man aber mit professionellen Ethikern, dann wird unser Konzept durchaus anerkannt. Und nach Meinungsumfragen wäre mehr als die Hälfte der Bevölkerung bereit, im Notfall ein Schweineorgan zu akzeptieren“. Die Tierschützer krakeelen also zugunsten der Schweine; dass der Organempfänger Mensch manipuliert werden muss, dagegen haben sie nichts. Im Zusammenhang damit stellen sich doch wohl einige grundsätzliche Wertefragen:wer geht eigentlich auf die Straße, um für das Überleben, für Organspenden zu demonstrieren? Wer geht auf die Straße, um todkranken Menschen zu helfen? Warum hat noch kein Gesundheitspolitiker lautstarke Ideologen gefragt: Wenn Ihr keine Tierversuche wollt, die zweifellos in Zahl und Anwendung reduziert werden müssen und können, aber im Prinzip unersetzlich bleiben, wenn Ihr also diese Versuche nicht wollt, warum gebt Ihr dann nicht Eure Babys dafür her? Fehlt nicht in unserer Gesellschaft eine grundsätzliche Wertediskussion, was ist uns was in der Medizin wert? Fragen, die nicht nur Anhänger der Schöpfungstheorie oder der Evolutionsthese gleichermaßen angehen sollten wie Religionsfanatiker und Atheisten. Und es sind Fragen, die bei der Finanzierung von Gesundheit und Krankheit beginnen, über das akzeptabel Machbare oder unwürdig Abweisbare in der Medizin hinausgehen bis hin zu Problemen mit dem Therapieabbruch und Gnadentod. Bei der Xenotransplantation tauchen nicht nur Probleme in neuer ethischer Dimension auf, es besteht außer dem Abstossungsrisiko mindestens noch ein anderer fachlicher Zweifel. Bisher sind mit Versuchen schon erste Bedenken ausgeräumt worden, daß mit Tierorganen auch Erreger von Tierkrankheiten auf den Menschen übertragen werden können. Eine endgültige Aussage dazu soll es Ende des Jahres 2000 geben, wenn zwei große Studien mit Großtieren dazu abgeschlossen sind. Axel Haverich ist optimistisch, denn bisher konnten in den notwendigen vorklinischen Prüfungen alle Infektionszweifel ausgeschlossen werden. Sorge machen ihm vielmehr aus Tierversuchen die noch geringen “Standzeiten“ übertragener Xenotransplantate. Eine Niere funktioniert bisher nur etwa 3 Monate, ein Herz nur 1 Monat und eine Lunge nur wenige Wochen. Mit solchen Daten ist eine Xenotransplantation auf den Menschen im klinischen Versuch keineswegs zu verantworten. Doch die Forschungsergebnisse der letzten beiden Jahre ermutigen, sagt Haverich: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie kommt“.

Fazit: Heißt länger leben gesünder leben?

Bisher ist aus epidemiologischen Vorhersagen bekannt, dass in 10–20 Jahren die Menschen in den hochentwickelten westlichen Ländern im Durchschnitt der Bevölkerung um zwei bis drei Jahre länger leben. Im Durchschnitt heißt: Für ein Individuum kann das auch mal 10 Jahre länger bedeuten. Der Zeitpunkt des Todes wird in jedem Fall hinausgeschoben. Aber in den gewonnenen Lebensjahren, die hoffentlich mit den Fortschritten beispielsweise der Herzmedizin erzielt werden, lebt der Mensch keineswegs ohne Krankheiten, im Gegenteil. Um nur die schlimmsten der bekannten Alterskrankheiten zu nennen: Krebs und Alzheimer. Wie lebenswert also ein längeres Leben ist, hängt ganz eindeutig von der Lebensqualität ab. Und hohes Alter bedeutet auch keineswegs frei zu sein vom Risiko einer Herz-Kreislauf-Krankheit. Wenn man nun Krankheitsjahre, in denen ein alt gewordener Mensch möglicherweise dahinsiecht, als verlorene Jahre in Zukunftsprognosen einbezieht, dann sagt Prof. Günter Breithardt, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie: „Dann sieht alles nicht so blendend aus. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die Weltbank haben vor ungefähr drei Jahren eine umfassende Studie vorgelegt, nach der im Jahr 2020 die Herz-Kreislaufkrankheiten nach wie vor an der Spitze der Todesursachen stehen, gerade weil die Menschen älter werden.“ Paradox? Kehrseite des medizinischen Fortschritts? Nein, Jahre des Siechtums werden von den Betroffenen kaum als gewonnene Lebensjahre empfunden werden. So bleibt die Hoffnung auf andere medizinische Fachdisziplinen und deren Fortschritte, die Lebensqualität garantieren. Die Pille für ewiges Leben „ist ja schon in der Mache“. Das war sie eigentlich immer.
 


Die Wirtschaftsaussichten für Deutschland sind zur Zeit glänzend: Viele Unternehmen steigern Jahr um Jahr ihre Gewinne, die Bevölkerung begeistert sich für Aktien und die Konjunktur zieht kräftig an. Die Umwelt liegt dagegen allerdings eher schlecht im Kurs. Denn nicht nur das öffentliche Interesse am Thema Umweltschutz hat merklich nachgelassen, auch die Industrie hat ihre finanziellen Bemühungen zur Bewahrung unserer Umwelt deutlich zurückgefahren: So sind die Investitionen in den Umweltschutz von 5,08 Milliarden Mark im Jahr 1996 auf 3,29 Milliarden Mark im Jahr 1998 gesunken – ein Minus für die Umwelt von knapp zwei Milliarden Mark. Das Schwergewicht der Investitionen lag auf der Luftreinhaltung mit 1,33 Milliarden Mark und auf dem Gewässerschutz mit 1,2 Milliarden Mark. 

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