Zeitschrift

Mobilität

 

Heft 3/ 2002

Hrsg: LpB

 



 

Inhaltsverzeichnis

Die Reiselust im historischen Rückspiegel 

Vom "Fernweh" der Deutschen Die Entfaltung des Massentourismus zwischen wirtschaftlicher Ratio, Suche nach dem kleinem Glück, Kulturkritik und Ökoschelte 

Von Hans-Jürgen Teuteberg

 

Professor Dr. Hans-Jürgen Teuteberg lehrte zwischen 1974 und 1995 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster neuere und neueste Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und beschäftigte sich unter anderem als Leiter des Seminars für Verkehrsgeschichte der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft e. V. auch mit strukturellen Umwälzungen im Verkehrswesen in den letzten zwei Jahrhunderten. 

Neben einem internationalen Tagungsband über reiseberichtet als Quellen der europäischen Kulturgeschichte (Wolfenbüttel 1982) veröffentlichte er Abhandlungen zur Geschichte der deutschen und britischen See- und Binnenschifffahrt sowie ihrer großen Häfen und über die Entwicklung der Verkehrstheorie. Der größeren Öffentlichkeit wurde er vor allem durch die im Auftrag des Bundesverkehrsministers mitherausgegebene amtliche Festschrift "Nord-Ostsee-Kanal 1895-1995" (Neumünster 1995) bekannt.

 

Die Deutschen haben sich vom "Hungerleider" in der schweren Nachkriegszeit seit den späten 1950er-Jahren zum "Reiseweltmeister" emporgearbeitet. Nicht nur kleine, elitäre vermögende Kreise, sondern auch die Masse der deutschen Staatsbürger kann sich seitdem erstmals regelmäßige Urlaubsreisen leisten. Auffallend ist, dass sich der Massentourismus parallel zur Verkehrsentwicklung gesteigert hat. Insbesondere die individuelle Motorisierung und dann die Entwicklung im Flugverkehr sind hier von erheblichem Einfluss gewesen - und wohl auch umgekehrt. Die Urlaubsziele spiegeln die Sehnsüchte der Deutschen wider. Für die Zielregionen selbst hat der wachsende Tourismus erhebliche ökonomische Impulse gebracht. Dass damit auch nachteilige Folgen verbunden sind - etwa für Natur und Umwelt - , darf nicht verschwiegen werden. Red. 

Durchschnittlich zwei Wochen im Jahr fort von zu Hause 

Die deutschen Reiseveranstalter haben nach dem Luftterroranschlag am 11. September 2001 erstmals nach langer Zeit unisono über einen drastischen Umsatzrückgang beim Flugtourismus geklagt, doch keineswegs über eine allgemeine Reiseunlust. Wie zuvor scheint der Schlager "Pack die Badehose ein" aus den 1950er-Jahren immer noch das Urlaubsverhalten der meisten Deutschen trefflich zu charakterisieren. Um die Osterzeit setzen jedes Jahr die großen Reisewellen ein, bei der sich die Zahl der mobilen Urlauber insgesamt kaum verändert hat. Nach einer Studie der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) unternahmen im Jahr 2000 die Bundesbürger über 14 Jahren 62,2 Mill. Urlaubsreisen von mindestens fünftägiger Dauer. Neben der traditionellen großen Urlaubsreise gönnte sich jeder Dritte zusätzlich noch einen 2- bis 4-tägigen Kurzurlaub; durchschnittlich wurden damit fast zwei Wochen im Jahr außerhalb von zu Hause verbracht. 

Die großen Reisetrecks hatten dabei immer zwei dominierende Zielrichtungen - die Gebirge und Strände am Mittelmeer sowie an der Nord- und Ostsee. Auch die Großstädte spielten eine herausragende Rolle, jedoch lassen sich hier Urlaubs- und Geschäftsreisen nicht trennen. Berlin konnte hier seine führende Stellung mit 9,5 Mill. Übernachtungen ausbauen, gefolgt von dem früher führenden München sowie Hamburg, Frankfurt a. M. und Köln. 18,2 Mill. Urlaubsreisen mit einem Anteil von 29 Prozent am Reisemarkt wurden trotz unsicherem Wetter innerhalb Deutschlands unternommen, wobei Bayern mit 6 Prozent weit vorn rangierte. Doch konnte in der Beliebtheitssakala Mecklenburg- Vorpommern (3,8 Prozent) inzwischen Schleswig-Holstein (3,7 v.H.) überholen und Thüringen (1,2 Prozent) Rheinland-Pfalz und das Saarland (je 1,2 Prozent) hinter sich lassen. Bei den Auslandsreisen standen nach dieser Studie Spanien (8,8 Mill. Reisen mit 14 Prozent) und Italien (9 Prozent mit 5,8 Mill. Reisen) an der Spitze und damit auf dem zweiten und dritten Platz aller Reiseziele. Es folgten dann Österreich, Griechenland, Frankreich und die Türkei, deren Badeorte zunehmend an Gewicht gewonnen haben. 

 

Zumeist mit dem eigenen Auto 

Interessanterweise blieb trotz gestiegener Benzinpreise das eigene Auto (zusammen mit dem Wohnmobil) immer noch für fast jeden zweiten Urlauber das am meisten benutzte Transportmittel, doch konnte das Flugzeug mit 34,6 Prozent seine Position zu Lasten von Bus (9,1 Prozent) und Bahn (5,8 Prozent) weiter ausbauen. Die Deutschen haben offenbar Jahr für Jahr auch mehr Geld für das Reisen ausgegeben. Im Jahr 2000 stieg die Gesamtsumme auf 96 Mrd. DM, d.h. 1549 DM pro Person und Urlaubsreise, was einen Anstieg von 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Den größten Anteil hatten dabei Luxusreisen (9000 DM pro Person und Reise) mit einem Wachstum von 28 Prozent, was mit dem deutlich gestiegenen Angebot von Schiffskreuzfahrten zusammenhängen mag. Aber auch die "All-inclusive"- Reisen konnten sich seit den 1990er-Jahren bis auf 10 Prozent besonders bei den Fernreisen vermehren. Nach Mitteilung des Freizeitforschers Horst W. Opaschowski, der 5000 Personen im Jahr 2000 nach ihrem Urlaubsverhalten befragen ließ, bleiben die Deutschen ihrem Ruf als Reiseweltmeister treu, trotz gewisser Sättigungs-, Verdrängungs- und Krisenerscheinungen. Wenn wird im Urlaub, aber nicht am Urlaub gespart. Immer mehr Individualreisende haben sich in die Arme der organisierten Gruppenreisen begeben, da die großen Reiseunternehmen die Individualisierung aller Lebensbereiche erkennend ihre früher starren Angebotsformen hier aufgegeben haben. 

Spitzenreiter Mecklenburg-Vorpommern 

Die unverändert große Reiselust geht schließlich auch daraus hervor, dass im Jahr 2000 die Hotels, Pensionen, Jugendherbergen und Campingplätze in der Bundesrepublik 6 Prozent mehr Übernachtungen als im Vorjahr zählten. Wenngleich auch hier Bayern mit 74 Mill. oder 23 Prozent aller Nächtigungen erwartungsgemäß die Spitzenposition einnahm, so konnten einige Regionen in den neuen Bundesländern zwischen Ostseeküste und Erzgebirge mit gut 10 Prozent Wachstum kräftig aufholen und demonstrieren, dass der Tourismus hier zum wichtigen Wirtschaftszweig geworden ist. Mecklenburg-Vorpommern erreichte mit 10 199 Urlaubsübernachtungen auf je 1000 Einwohner sogar die Spitze. Daraus könnte man pauschal folgern, dass die Küsten die Berge zu verdrängen beginnen. Tourismusexperten sehen freilich auch den Trend, dass die Bundesrepublik wegen ihrer unvergleichlich vielen Sehenswürdigkeiten immer mehr zum typischen Kurzurlaubsland für in- wie ausländische Kulturtouristen zu werden beginnt. 

Wie dieser Überblick über den deutschen Tourismus zeigt, handelt es sich um einen mächtig herangewachsenen Zweig des Freizeitgewerbes, der scheinbar nur von Gesetzen der grenzüberschreitende Marktwirtschaft beherrscht wird. Aber schon bei der Erörterung der Reiseziele und Reisemotivationen wird transparent, dass dieses Phänomen auch der psychosozialen und geistig-kulturellen Erklärung bedarf, will man die Grundzusammenhänge erkennen. Ihm kann man sich am besten von der historischen Seite nähern. Um die seit Jahrzehnten große Reiselust der Deutschen besser zu verstehen, sollen daher nachfolgend die Entstehung und Entwicklung des modernen Massentourismus kurz skizziert werden. 

Die Schlüsselrolle der Verkehrsentwicklung 

Bekanntlich haben die menschlichen Bedürfnisse, die nicht nur materiell verstanden werden dürfen, gleichsam inneren Uhrfedern den Fortgang der Wirtschaft wie Kultur stets vorangetrieben und sind daher als unendlich anzusehen. Sie waren immer auch von einer tendenziell wachsenden Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen begleitet, die analog steigende Verkehrsleistungen auslöste. Ohne die technischen Innovationen auf dem Transportsektor wäre die Entwicklung von der Urgesellschaft bis zum heutigen Wohlfahrtsstaat in der sich immer mehr vernetzenden Weltwirtschaft nicht möglich gewesen. Verkehr bedeutet die Summe aller Vorgänge, die der Raumüberwindung, nämlich dem Transport von Menschen, Gütern und Nachrichten zu Wasser, auf dem Landwege oder durch die Luft dienen. Verkehr lässt sich auch als Bestandteil der Produktion begreifen, denn die Umwandlung eines konsumfernen Produktes in ein verbrauchnahes Wirtschaftsgut ist ebenso entscheidend wie die Gewinnung von Rohstoffen und ihre Verarbeitung. Aber auch die Befriedigung von Dienstleistungen, z.B. bei den stark gewachsenen Gesundheits- wie Kulturbedürfnissen, ist auf Verkehr angewiesen. Alle Ortsveränderungen von Menschen, Gütern und Diensten sind daher Prämissen der sich immer mehr arbeitsteilig spezialisierenden Wirtschaft und modernisierenden Gesellschaft. Das Wachstum von Wirtschaft und Verkehrswesen waren stets engstens miteinander verkoppelt und gewährleisteten erst zusammen die Hebung des Lebensstandards. 

Die Mechanisierung des Verkehrs in der Industrialisierung der letzten zwei Jahrhunderte hat die alten Bindungen des Individuums an seinen Heimatort erstmals dauerhaft gelockert, gewaltige Wanderungsbewegungen ausgelöst und zur Zentralisierung der Produktion in bestimmten Regionen und Staaten sowie zur Verstädterung mit der folgenreichen Trennung der Lebensbereiche Wohnen und Arbeiten geführt, was zu großen Anpassungsproblemen führte. Aber die immer mehr sich verdichtenden Verkehrsnetze erzeugten auch nicht minder folgenreiche Integrationsprozesse. Die zunehmende Raumüberwindung bildete die Basis aller nun einsetzenden Versuche, wirtschaftliche wie soziale Ungleichheiten auszugleichen und das Gefälle zwischen armen und reicher ausgestatteten Räumen zu mindern. Die verkehrsmäßige Erschließung wirtschaftlich zurückgebliebener Gebiete bringt auf die Dauer nicht nur eine günstigere Verteilung der Güter, Dienste und Einkommen im Sinne einer verbesserten Daseinsfürsorge, sondern in weiteren Stufen auch eine früher nicht gekannte allgemeine Verbreitung der Fortschritte der Wissenskultur. Dass dies aus vielfältigen Gründen noch recht unvollkommen und nicht schnell genug geschah, darf nicht bestritten werden. 

Der Verkehr führt ferner zu neuer Identifikation des Menschen mit größeren Räumen und erleichterte die Kooperation in territorialen, nationalen und internationalen Zusammenschlüssen. Der europäische Einigungsprozess wäre ohne den kontinuierlichen Verkehrsausbau nicht denkbar. Freilich hat die so gewachsene räumliche Mobilität, die mit der ebenso größer gewordenen sozialen Mobilität zusammengesehen werden muss, wie jeder Fortschritt ein janusköpfiges Gesicht: Auf der einen Seite Stärkung des freien friedlichen Handels der Völker und eine bessere sowie relativ billiger werdende Versorgung der Haushalte mit den notwendigen Gütern und Diensten, die Gewinnung neuer Erlebnishorizonte und unter Umständen Hebung des körperlichen wie emotionellen Wohlbefindens, auf der anderen Seite aber den Einsatz der neuen Verkehrsmittel und Kommunikationstechniken bei militärischen Konflikten und der Kriminalität, zunehmender Verbrauch natürlich begrenzter und nicht erneuerbarer Ressourcen sowie eine wachsende Umweltbelastung durch toxische Schadstoffe. Solche Übel sind aus historischer Sicht keineswegs alle neu und nicht immer dem industriellen Zeitalter anzulasten, aber als ein vom Staat zu lösendes Zentralproblem definitiv erkannt worden. 

Wie reiste man in vormodernen Zeiten? 

Der heutige Massentourismus als Teil des Verkehrs unterscheidet sich ganz erheblich vom Fortbewegen in früheren vormodernen Jahrhunderten. Ist das Reisen heute meist mit angenehmen Gefühlen verbunden, so war dies früher fast immer mit körperlichen Strapazen und Entbehrungen, teilweise sogar mit Gefahren für Leib und Leben verbunden, die von der natürlichen Wildnis oder menschlichen Feinden ausgehen konnten. Räuberische Überfälle auf Reisende, die stets bewaffnet waren oder beschützt werden mussten, waren bis zur Schaffung eines flächendeckenden Amtsund Verwaltungsstaates mit einer Übertragung der Gewalt an die Polizei bis zum späten 18. Jahrhundert die Normalität. Auch auf dem Meer war der Verkehr voller Fährnisse, weshalb viele Jahrhunderte jedes Handelsschiff zugleich ein Kriegsschiff war und dieses oft im Geleitzug fuhr. Erst die Zunahme des Weltseeverkehrs mit den regelmäßigen Postdampferlinien sowie die Telegrafie beseitigten die jahrhundertelange Piraterieplage. 

Zwar sind aus allen älteren Jahrhunderten Reisen überliefert, aber hierbei handelte es sich in erster Linie um Eroberungszüge und Kriegsfahrten, kirchliche Wallfahrten in Gruppen, die von wenigen Missions-, Gesandten- und Handelsreisen ergänzt wurden. Bezeichnenderweise hatte das mittelhochdeutsche Wort "reise" die Bedeutungen Aufstehen, Aufbruch und Heerfahrt, wobei bewaffnete Reiter auch "Reisige" genannt wurden. Mobil waren ferner die großen Scharen des fahrenden Volkes bestehend aus wandernden Handwerksburschen, Scholaren und Hökern, aber auch aus Spielleuten, Gauklern, Gaunern und Bettlern, die ein Leben auf den Straßen in mehr oder weniger erzwungener Ortsveränderung zubrachten. Die sich aus der adeligen Kavalierstour und der Gelehrtenreise im Humanismus entwickelnde bürgerliche Bildungsreise im 18. Jahrhundert, ganz besonders die dem Vergnügen und der Erholung dienende Badereise, sind dann mit dem Ausbau des Postkutschenwesens und der Einführung der Eisenbahn sowie des Dampfschiffs im 19. Jahrhundert zur eigentlichen Wurzel des modernen Tourismus geworden. Seine Ferien-, Erholungs- und Jugendreisen basieren prinzipiell auf der Freiwilligkeit im Unterschied zu den gleichzeitig anwachsenden Geschäfts-, Kur-, Forschungs- und Pilgerreisen, deren Typen sich freilich oft vermischt haben. 

 

Tourismus in Deutschland im Jahr 2000 

Bundesländer  Übernachtungen in Hotels, Pensionen etc.je 1.000 Einwohner  Durchschnittliche Aufenthaltsdauern der   Urlaubsgäste in Tagen 
Baden-Württemberg

Bayern 

Berlin

Brandenburg

Bremen

Hamburg

Hessen

Mecklenburg-Vorpommern

Niedersachsen

Nordrhein-Westfalen

Rheinland-Pfalz

Saarland 

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Schleswig Holstein

Thüringen

Deutschland

3.745

6.092 

3.370

3.224 

1.985

2.841

4.239

10.199

4.489

2.036

4.752

2.001 

3.268 

3.370

7.511

3.649

3.972

2,9 

3,2

2,3

2,8

1,8

1,8 

2,6

4,3 

3,4

2,6

3,0

3,3

2,8

2,3 

4,8 

3,0

3,0 

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Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden

 

 

Die Romantisierung der Natur als Geburtshelfer des Tourismus

Entscheidend für die erste Entfaltung des modernen Tourismus war die neu sich herausbildende Auffassung von der Natur. Galt diese bis zum Ende des Aufklärungszeitalters noch als ein Inbegriff der Unordnung, die der kunstvoll leitenden Hand des Menschen und seiner Technik bedurfte, so wurde sie in der nachfolgenden Romantik nun als eigenständiges Phänomen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Die Genese des neuen kosmischen Denkens, wie der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga diesen Vorgang in der europäischen Geistesgeschichte treffend genannt hat, lässt sich am religiösen Pietismus, der Literatur der Sentimentalität, der Landschaftsmalerei, der emotionellen Lyrik und Musik, aber auch den ästhetischen Theorien eines Herder und Rousseau sowie an dem englischen landscape gardening ablesen, das den rational abgezirkelten älteren Barockgarten ablöste. Das erste Reisen in die Berge und an das Meer, die Romantisierung der Alpen und des Rheins bildeten den Auftakt für das nun herannahende Zeitalter des Tourismus. Badeorte wie Cheltenham, Bath, Baden-Baden, Karlsbad und Vichy wurden Treffpunkte des geselligen Lebens von Adels- und Patrizierfamilien, bei denen neben den medizinischen Einrichtungen die "Konversationsräume", Kurgärten, Orchestermuscheln für Freiluftkonzerte, Spielbanken und Promenaden als Vorboten des Massentourismus eine Rolle spielten. Die Gesundheitspflege diente mehr dazu, den Vergnügungsaufenthalt, der zugleich als Heiratsmarkt diente, moralisch zu legitimieren. Erst nach der Entstehung der wissenschaftlichen Balneologie (Bäderkunde) und der Naturärzte mit ihren Wasserkuren wurde der Charakter der Heilbäder mehr betont. 

 

An die See und in die Berge 

Recht ähnlich entwickelten sich die Reisen zu Seebädern. 1793 entstanden im mecklenburgischen Doberan-Heiligendamm und 1797 auf der Insel Norderney die ersten deutschen Seebäder nach englischem Vorbild mit Badekarren, Flanieren auf der Strandpromenade und Spielcasinos, wo nach Eröffnung des Eisenbahn- und Dampfschifffahrtsverkehrs die wenigen durch gesellschaftlichen Stand privilegierten Familien von den schnell wachsenden Scharen bürgerlicher Gäste nach 1850 immer mehr an den Rand gedrängt wurden. 

Die Zahl der Alpenreisen verstärkte sich, als im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Vereine das Bergsteigen ideell erstmals förderten: 1862 wurde in Nachahmung eines britischen Vorgängers der Österreichische Alpenverein und 1867 der Deutsche Alpenverein gegründet, die sich 1874 im Deutsch-Österreichischen Alpenverein (DÖAV) vereinten. Diese Vereinigungen, welche auch in der Schweiz, Italien und Frankreich entstanden, sorgten nicht nur für eine Verbesserung der Verkehrsmittel zu den oft abgelegenen kleinen Orten, sondern auch für Unterkunftsmöglichkeiten, bauten Schutzhütten im Gebirge und gaben Wanderkarten aus. Zugleich begann eine Sympathiewerbung für die Alpen als Erholungs- und Erlebnisgebiete, wobei z. B. das Zillertal in Tirol in deutschen Großstädten bekannt gemacht wurde. Die Erhaltung der Schönheit und Ursprünglichkeit der Natur spielte von Beginn an in dem nationalkonservativen Deutsch-Österreichischen Alpenverein eine große Rolle. Seine Mitgliederzahl stieg von 10 000 (1882) auf 30 000 (1894) und dann auf 200 000 (1930). Wie sehr man auf den einfachen Bürger zielte, geht aus den Tölzer Richtlinien hervor, welche die Hüttenwirte verpflichteten, "Selbstverpfleger" zu dulden und den DÖAV-Mitgliedern verbilligte Speisen anzubieten. Es wurden zudem Senner, Hirten und Jäger, sogar Schmuggler und Wilderer als ortskundige Bergführer oder Gepäckträger angeheuert und eine spezielle Literatur herausgegeben, da die ersten Reisehandbücher von Baedeker, Weidmann und Koch noch zu wenig Informationen boten. Das Bergsteigen und Klettern mit Bergführern, dann das um 1900 beginnende Wandern in Gruppen, das die frühere reine Naturbeobachtung ablöste, und schließlich der unter skandinavischem Einfluss seit 1890 entstehende Skisport, der freilich erst durch den Bau von Berg- und Seilbahnen sowie Liften und Anlage von Skipisten und Hotelkomplexen bis zu 3-4000m Höhe nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der größten Zweige des Massentourismus wurde, hat hier den Anfang genommen. Alle diese Bade-, See- und Alpenreisen, zunächst nur von der hauchdünnen Schicht der Aristokratie und des neureichen Besitzbürgertums in Anspruch genommen, müssen als die prägenden Vorläufer des späteren Massentourismus angesehen werden. 

Thomas Cooks erste Gesellschaftsreisen 

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fehlten nicht nur geeignete Transportmittel für einen massenhaften Verkehr, sondern die mehrheitlich rein agrarisch geprägte Gesellschaft hatte einfach kein Bedürfnis nach Reisen aus bloßem Vergnügen, da die Bereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit noch nicht getrennt waren. Die Masse der Bevölkerung arbeitete mit längeren Pausen so lange, wie es das Glockengeläut und das Tageslicht erlaubten. Der Feierabend wie die kirchlichen Feiertage waren nach konfessionell-lokalem Ritus streng geregelt und hatten nichts mit individueller Selbstverwirklichung und Freizeiterlebnissen zu tun. Reisen wurden nur aus wirtschaftlicher Notwendigkeit oder obligatorischem Bildungszweck unternommen. 

1841 kam der englische Baptistenprediger Thomas Cook auf die Idee, 570 Arbeiter und ihre Familien von der Industriestadt Leicester auf einer neugebauten Eisenbahnlinie als Gruppe zu einem Vortrag gegen den Alkoholismus in einer nahen anderen Stadt in einem besonderen Zug reisen zu lassen. In dem Reisepreis von 1 Shilling waren Tee, Schinkenbrote, Sport, Spiele und Tanz einbegriffen. Die privaten Eisenbahngesellschaften witterten hier ein Geschäft und überredeten ihn, charming excursions zu Parks adeliger Schlösser sowie in romantische Gegenden und zu Wanderungen im schottischen Hochland zu organisieren, was mit Hilfe seines 1845 gegründeten Reisebüros dann durchgeführt wurde. 1851 war er bereits durch seine Reisesprospekte so bekannt, dass er 165 000 Reiselustige zur ersten Weltausstellung in London transportierte. Cook's Travel Agency organisierte sodann Pauschalreisen auf den Kontinent unter seiner Führung, wozu er selbst alle Reisepläne ausarbeitete und mit ausgesuchten Gasthöfen Verträge schloss. Dadurch wurden vielfach erste Grundsteine für einen emporblühenden "Fremdenverkehr" gelegt. Später brachte er Reisegruppen zum Vesuvkrater bei Neapel, ließ eine Nilschiffsflotte in Ägypten bauen; sein Sohn dehnte den organisierten Touristenverkehr bis nach Indien aus. Sogar der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. bediente sich dieser ersten Reiseagentur, als er 1896 mit seinem großem Gefolge Jerusalem offiziell einen Besuch abstattete. 

Der Beginn der Pauschalreisen in Deutschland 

Diese ersten englischen Gruppenreisen wurden zuerst von der Hamburger Reiseagentur Carl Stangen nachgeahmt, die später unter dem Namen Hapag Lloyd Reisebüro firmierte. Es übernahm Cooks Hotelbuchungs- und Ticketsystem, beschränkte sich aber auf das finanziell besser situierte Besitzbürgertum wegen seiner höheren Preise für Pauschalreisen. Der Bremer Wilhelm Scharnow, Begründer des späteren Unternehmens Scharnow-Reisen, war der Erste in Deutschland, der Ende der 1920er-Jahre billige, kleine Gruppenreisen anbot, zuerst in die Lüneburger Heide und den Harz, dann nach Helgoland und Oberbayern. 

Mehr Erfolg erzielte sein Landsmann und Jugendfreund Dr. Carl Degener, der seit 1932 mit seinem Berliner Reisebüro betont auf den "Volkstourismus" setzte. Anders als der auf klassische Bildungsreisen setzende Dr. Hubert Tigges aus Wuppertal versprach Degener seinen Kunden richtigen "Remmidemmi" im gemeinsamen Urlaub. Als Arbeitsamtsdirektor schwebte Degener, der die schlimmen psychischen Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit der Weltwirtschaftskrise täglich erlebte, eine sozialtouristische Bewegung nach Cooks anfänglichem Muster vor. Zwar ging die von ihm mit den Sparkassen gegründete Deutsche Reisespar-GmbH, mit der minderbemittelte Familien eine Urlaubsreise ansparen sollten, wieder ein, doch gelang es ihm, eine achttägige Pauschalreise in das österreichische Alpendorf Golling bei Salzburg für 69 RM in größerer Zahl zu verkaufen, die nach dem Warenhausprinzip "großer Umsatz - kleiner Nutzen" etwas Gewinn einbrachte. Die anderen Reisebüros erklärten ihn als schlichtweg verrückt und verweigerten die Auslage seiner Reiseprospekte. Als nach Hitlers Machtübernahme zur Sicherung der knappen Devisen das Reisen in das billigere Österreich dadurch erschwert wurde, dass jeder Reichsdeutsche vor dem Grenzübertritt 1000 RM hinterlegen musste, verlegte Degener seine Reisen ins oberbayerische Dorf Ruhpolding, das nun zum ersten Zielort des deutschen Massentourismus emporstieg. 1933 empfing dort eine Blaskapelle bereits 5863 Gäste, davon allein 3000 aus Degeners Reiseunternehmen. 

Die KdF- Reisen unter dem Hakenkreuz 1933-1939

Die Idee der billigen Volksreisen wurde bald von der nationalsozialistischen Freizeitorganisation Kraft durch Freude (KdF) aufgegriffen, welche aus Propagandagründen nun einwöchige Oberbayernfahrten für 39 RM anbot, sodass Degener wie Schamnow und Tigges auf finanziell besser gestellte Schichten ausweichen mussten. Später arbeitete er aber mit KdF zusammen, sodass man ihn zum Leiter der gleichgeschalteten "Fachgruppe Reiseunternehmen" bestellte, wodurch er den gesamten Tourismus im Dritten Reich koordinieren konnte. Die KdF-Organisation, nach dem Vorbild einer ähnlichen Organisation des italienischen Faschismus ins Leben gerufen, hatte nur die Organisation von Massenreisen für Arbeiter im Auge. KdF-Reisen sollten eine frohe Urlaubsgestaltung für die einfachen Werktätigen ermöglichen und ein Inbegriff der neuen NS Sozialpolitik bilden. Da die Masse der Arbeiter völlig reiseunerfahren war, wurden von dieser Staatsorganisation fertige Urlaubsprogramme ausgearbeitet, die vom klassischen Konzert bis zum Sackhüpfen reichten. Für einen Arbeiterurlaub fehlten noch entsprechende touristische Verhaltensmuster, die nun erst entwickelt werden mussten. Dieser "Sozialismus der Tat", wie die KdF-Reisen genannt wurden, entfalteten eine große Breitenwirkung und haben bei einfachen Menschen das positive Bild vom ganzen Nationalsozialismus entscheidend mitgeformt. 

Angeboten wurden neben Ausflügen, Wanderungen, Hochseefahrten und achttägigen Urlaubsreisen in deutsche Feriengebiete die legendären Kreuzfahrten nach Norwegen, Portugal, Spanien und Italien. Die Schiffsreise mit der "Wilhelm Gustloff" nach Madeira war die Spitze, da hier Arbeiter erstmals den exklusiven Ferienort der "stinkfeinen Leute" besuchen konnten. Die massenhaften Reisen waren aber nur möglich, weil die Reichsbahn einen Preisnachlass von 75 Prozent und die Hoteliers sowie Gastwirte wegen der 100-prozentigen Auslastung erhebliche Rabatte gewähren mussten. Auch Degenerst Idee des Reisesparens wurde übernommen und die Arbeitgeber zur Auffüllung der Reisekasse obligatorisch herangezogen. Zur Herstellung der viel beschworenen "Volksgemeinschaft" sollte hier eine "Brechung bürgerlicher Privilegien" stattfinden. Zwischen 1934 und 1939 verkaufte KdF 43 Millionen Reisen, wovon aber 84 v.H. Tages- oder Kurzausflüge waren, die nur 5 RM kosteten. Da aber schon die älteren Wandervereine so etwas boten, bedeutete das nur eine quantitative Ausweitung. Innovativ waren dagegen die 7 Mill. mehrtägigen Ferienreisen, die nach 1938 vor allem nach Österreich führten. Das deutsche Nachbarland blieb daher nicht zufällig eines der Hauptziele des deutschen Tourismus bis heute. Die KdF-Reisen hatten bei den mehrtägigen Reisen aber nur einen Arbeiteranteil von 23 bis 39 v.H., nur 2 bis 3 v.H. der Minderbemittelten kamen in den Genuss einer längeren Urlaubsreise, bei den Kreuzfahrten wurden vor allem verdiente Parteigenossen damit belohnt, bei denen 14 bis 17 v.H. Arbeiter waren. Wenngleich es keineswegs zu einer wirklichen Sozialisierung des Reisens kam, grub sich das Bild vom "Arbeiter der Faust" im Liegestuhl eines Ozeandampfers tief ins Bewusstsein ein. Die Formierung der heutigen Urlaubsgesellschaft deutete sich erstmals an. 

Zwischen 1945 und 1951 waren Auslandsreisen kaum möglich 

Nach dem Zusammenbruch 1945 ging es im kriegsverwüsteten zerteilten Deutschland ums nackte Überleben, bei dem nicht an Urlaubsreisen zu denken war. Dafür kamen besonders aus den USA Touristengruppen, um sich im Rahmen des von Cook und der American Express Company (Amexo) organisierten "Ruinentourismus" die zerbombten Städte anzusehen. Die Deutschen waren dagegen im Ausland, selbst in Österreich, unerwünscht. Die Alliierten gaben für den normalen Bürger keine Reisepässe aus; selbst die Besatzungszonen bedeuteten innerdeutsche Grenzen. Die wenigen Antragsteller für einen Reiseausweis ins Ausland mussten sich mühevoll ein Einreisevisum mit schriftlicher Einladung, eine Bestätigung über die Sicherung der Aufenthaltskosten sowie einen entlastenden Entnazifizierungsbescheid besorgen. Theodor Heuss beklagte als erster deutscher Bundespräsident auf dem "Deutschen Fremdenverkehrstag" 1950 die Isolation der Deutschen, deren Lage er mit einem Gefängnis verglich, und wies auf das Reisen als Mittel der Völkerverständigung hin. Dank der ständigen Forderungen nach Reisefreiheit erhielt die Bundesrepublik 1951 die Passhoheit zurück, doch musste man noch bis 1954 viele Fragebogen, Stempel und Gebühren wegen des Visums in Kauf nehmen. 13 europäische Staaten, darunter alle großen Urlaubsländer bis auf Spanien, verzichteten seitdem auf die Visumpflicht für deutsche Touristen. 

Motorisierungsgrad und Zahl der Urlaubsreisen wuchsen parallel

Die in den folgenden Jahren einsetzende und lang anhaltende wirtschaftliche Erholung mit dem Übergang zur heutigen Wohlstandsgesellschaft ist oft unter dem Signum "Deutsches Wirtschaftswunder" beschrieben worden. Unter anderem brachte es auch einen Wiederanstieg der längerfristigen Urlaubsreisen. Die gleichzeitig einsetzende Verkürzung der Arbeitszeit und Ausdehnung des tariflichen Urlaubsanspruchs bildeten hierfür wichtige Voraussetzungen. Herrschte 1950 noch in den Ländergesetzen die Sechstagewoche mit 48 Stunden Arbeitszeit und 12 arbeitsfreien Tagen im Jahr vor, so wurden 1956 die Fünftagewoche mit 45-stündiger Wochenarbeitszeit und 1962 dann 15 sowie ab dem 35. Lebensjahr 18 arbeitsfreie bezahlte Tage eingeführt. 1970 erhöhte sich nach dem Übergang zur 42- Stunden-Woche der Urlaubsanspruch auf 18 bzw. 20 Tage. Die Zahl der jährlichen arbeitsfreien Tage einschließlich der Sonn- und Feiertage war damit von 86 im Jahr 1950 auf 127 im Jahr 1970 angestiegen. 

Der endgültige Durchbruch zum Massentourismus wurde aber auch durch die anhaltende Geldwertstabilität seit der Währungsreform 1948 sowie die mehrfachen DM-Aufwertungen gegenüber den "weichen Währungen" in den Haupturlaubsländern zusammen mit dem Anstieg der Realeinkommen erreicht. Die Kosten einer Ferienreise erschienen damit relativ geringer und für mittlere und untere Einkommensgruppen erschwinglicher. Sie wurde seit dem Ende der 1950er-Jahre zu einer der beliebtesten Konsumausgaben. Schon 1962 wurden 34,6 Mrd. DM für Reisen außerhalb der Bundesrepublik ausgegeben, während ausländische Touristen in der Bundesrepublik nur 2,2 Mrd. DM ließen. Da der deutsche Touristenstrom ins Ausland immer weiter anschwoll, wurde die deutsche Zahlungsbilanz chronisch defizitär, was aber durch die ebenso permanenten hohen Devisenüberschüsse bei der Außenhandelsbilanz volkswirtschaftlich wieder ausgeglichen werden konnte. Das 1965 zusätzlich vereinbarte Urlaubsgeld für alle Arbeitnehmer bildete einen weiteren Anreiz für vermehrtes Reisen. 

Die wachsende Kaufkraft seit Ende 1950er- Jahre beförderte die schon vorher begonnene Motorisierungswelle, die sich jährlich mit steilen Zuwachsraten fortsetzte. Die Zahl der zugelassenen Privatkraftwagen wuchs von 35 500 (1949) auf 900 000 (1952), womit der Stand von 1938 überrundet wurde, und dann auf 11,7 Mill. (1969). Die Zahl der Motorräder, Kabinenroller und "Mopeds" nahm anfangs ebenso rasant zu, ging aber dann seit Ende der 1950er-Jahre wieder zurück, als sich immer mehr Menschen ein Auto leisten konnten. Seine erste Anschaffung wurde oft mit einem Urlaubswunsch motiviert, sodass hier enge Wechselwirkungen bestanden. Wie der ADAC damals feststellte, sind Motorisierungsgrad und Zunahme der Urlaubsreisen tatsächlich lange parallel gelaufen. Wenngleich auch die Zahl der Omnibusse von 14 300 (1950) auf 44 000 (1969) anstieg, so bildete das private Automobil den größten touristischen Antrieb. Man kann daher sagen, dass der ungeheure Motorisierungsprozess der 1950erund 1960er-Jahre mit dem Ausbau von Straßen, Autobahnen und Tankstellen das räumliche Muster der touristischen Nachfrage revolutioniert hat. 

Viele Reisewünsche sind sicher durch die Massenmedien stimuliert worden: Hörfunk, illustrierte Zeitschriften, Kinofilme und dann das sich verstärkende Fernsehen sowie die Schlagermusik wandten sich betont den Österreich- und Italienreisen zu. Es gab Reisebeilagen, Reisehefte und große farbige Werbeplakate, welche die andersartige Urlaubswelt als Kontrast zur grauen Arbeitswelt den so lange isolierten Deutschen vorzauberten. Neben der dekorativen Kulisse bemühten sich die Redaktionen aber auch um informative Hintergrundsberichte über die Urlaubsregionen. Das deutsche Hotel- und Gaststättengewerbe bemühte sich, unter diesen Anstößen auch durch Anzeigen in überörtlichen Presseorganen auf seine Angebote nun aufmerksam zu machen. Die anspruchsvollen Merian-Reisehefte eines alten Schulbuchverlages wandten sich an das Bildungsbürgertum, um die kulturelle Eigenart fremder Länder den Reisenden näher zu bringen, während kleine Reisetaschenbücher den Reiseunerfahrenen mehr praktische Tipps von Ausflugsempfehlungen bis zu Kleiderordnung gaben. Land und Leute wurden dabei kritiklos schöngefärbt. 

Urlaub als Flucht aus der "Unwirtlichkeit der Städte" 

Die neue Reisewelle spiegelte aber auch die sich schon im späten 19. Jahrhundert bei der Lebensreformbewegung besonders in Deutschland zeigende und bis zur heutigen ökologischen Bewegung reichende emotionelle Feindschaft von Teilen des Bildungsbürgertums gegenüber der industriellen Großstadt wider. Dieser Kulturkritik hat der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in seinem damaligen Bestseller Die Unwirtlichkeit unserer Städte Ausdruck verliehen. Die in den frühen 1950er-Jahren schnell hochgezogenen Wohnsilos in den historisch sterilen und nur auf nackte Funktionalität angelegten Trabantenstädten, die räumliche Enge im Untermieterdasein und die noch nicht beseitigte Wohnungsnot lassen das zunehmende Reisen rückblickend auch als eine Flucht in eine andere "heile" Welt erscheinen. Der auffällig niedrige Anteil von Reisenden aus dem ländlichen Bereich verstärkt den Eindruck, dass es sich bei dem Massentourismus vornehmlich um ein großstädtisches Phänomen zunächst gehandelt hat. 1961 fuhren nur 11 Prozent der Bewohner von Landgemeinden in den Urlaub, dagegen 46 Prozent von größeren Städten mit mehr als 50 000 Einwohnern. Dabei muss freilich beachtet werden, dass die immer stärker abschmelzende bäuerliche Bevölkerung immer noch keine geregelte Arbeits- und Urlaubszeit kannte. 

Es gibt aber keinen Zweifel, dass sich seit der Mitte der Fünfzigerjahre die längeren Freizeitreisen insgesamt intensivierten: Unternahmen 1954 erst 24 Prozent der über 14 Jahre alten Westdeutschen eine oder mehrere Urlaubsreisen, so waren es 1962 28 Prozent und 1970 schon 32 Prozent. 1976 waren 55 Prozent im Jahr unterwegs. Von diesem Zeitpunkt an blieb es dann bei etwa 65 Prozent Urlauber im Jahr. 

Der explodierende Auslandstourismus 

Hatte bis zum Zweiten Weltkrieg fast nur die "Sommerfrische" im Inland dem Fremdenverkehr gedient, so zog es die reisenden Westdeutschen seit der Mitte der 1950er-Jahre in steigendem Maß ins Ausland. Verbrachten 1954 noch 7,9 Mill. (84 v.H.) ihre Ferien in der Bundesrepublik und nur 1,4 Mill. (14 v.H.) jenseits der Grenzen, so hatte sich 1970 die Relation völlig umgekehrt: 10, 5 Mill. (54 v.H.) fuhren ins Ausland, während 8,5 Mill. (46 v.H.) deutsche Erholungsorte bevorzugten. Zwar wuchs wegen der zunehmenden Gesamtzahl der Urlauber auch die Zahl der Inlandsreisen, aber längst nicht in diesem Umfang. Dieser Trend verstärkte sich weiter, denn 1989 standen z.B. 69 v.H. Auslandsreisen nur noch 31 v.H. Inlandsreisen aus Urlaubszwecken gegenüber. Meinungsumfragen zeigen die Ursachen dieser Entwicklung: Das bessere Klima und Kennenlernen von Land und Leuten machten die Hälfte der Motive für eine Auslandsreise aus. Als weitere Begründungen folgten die schönen Landschaften und Sehenswürdigkeiten, der billigere Aufenthalt als zu Hause und der Kontrast von Arbeit und Alltag. Die Argumente, man würde die deutschen Urlaubsregionen schon kennen oder hätte schlechte Erfahrungen mit den dortigen Unterkünften gemacht, spielten dagegen nur eine marginale Rolle. 

Motorisierte Urlaubskarawanen nach Österreich und "Bella Italia" Wenn das Urlaubmachen im nahen Österreich frühzeitig massenhafte Züge annahm, so hatte das natürlich mit gemeinsamer Geschichte und Sprache, der schönen Alpennatur und ländlichen Beschaulichkeit, aber auch mit den vielen Wochenendausflügen und Transitübernachtungen zu tun. So stieg die Zahl der deutschen Touristen von 1,2 Mill. (1955) auf 2,2 Mill. (1962) und dann auf 4,4 Mill. (1970). Im Jahr 1957 trug der Tourismus z.B. mit 18,4 v.H. zur Wertschöpfung der gewerblichen Wirtschaft im Land Tirol bei und lag damit an dritter Stelle hinter Handwerk (23,5 v.H.) und Industrie (23,2 v.H.) noch vor Handel, Verkehr, Banken und Versicherungen. Die wichtigsten Beiträge erbrachten hierzu das Beherbergungs- und Gastronomiegewerbe, doch profitierten auch andere Wirtschaftszweige indirekt vom ausländischen Touristenstrom. Dies wirkte sich günstig auf den Arbeitsmarkt aus, der in den Urlaubsregionen eine permanent geringe Erwerbslosenrate aufwies. Kein Wunder, dass die meisten Österreicher bei Konjunkturumfragen den Tourismus positiv einschätzten, zumal die ausländischen Gäste nicht nur wie früher nur im Sommer, sondern auch zunehmend mehr in der Wintersaison kamen. Der alpine Tourismus behielt im Gegensatz zu anderen Urlaubsreisen ins Ausland seitdem bis zur Gegenwart seine stabile Basis. 

Sonne, Sand, Exotik und Erotik 

Italien war schon seit dem Mittelalter das "Land der ewigen deutschen Sehnsucht", an die der Pauschaltourismus mit kirchlich subventionierten Pilgergruppenreisen nach Rom und bürgerlichen Bildungsreisen anknüpfte. Die jährlichen Grenzübertritte der Deutschen erhöhten sich von 2,3 Mill. (1955) auf 6,6 Mill. (1970). Italien lag damit nach der Liberalisierung des Reiseverkehrs gleich an der Spitze des deutschen Auslandstourismus. Nicht unwesentlich war dabei, dass das italienische Touristenministerium, aufgeschreckt von zeitweise zurückgehenden Übernachtungen, eine rigorose obrigkeitliche Kontrolle der Hotelpreise, die Eindämmung von Lärm und Verschmutzungen sowie die Ausgabe von Benzingutscheinen und Senkung der Mautgebühren für ausländische Reisende einführte. Diese staatliche Bevorzugung des Touristenverkehrs zeigte seine Wirkungen: Manche Küstenstreifen Italiens wurden seit den 1960er-Jahren primär von deutschen Touristen geprägt, wie etwa Marina Massa. Hatte der kleine Fischerort an der Blumenriviera 1950 nur 800 Bewohner, so beherbergte er 1962 schon 17000 Urlauber, darunter 8000 Deutsche. Die Sonnengarantie, die pittoreske Landschaft mit Mittelmeervegetation, aber auch die freundliche Aufnahme deutscher Urlauber (ganz im Gegensatz zu einigen anderen europäischen Staaten), so z.B. das häufige Schild "Hier spricht man deutsch" in Restaurants, halfen mit, den Fremdenverkehr zum größten Wirtschaftszweig Italiens zu machen. Rundfunk, Kino und Illustrierte wie Quick, Bravo, Stern und Revue verstärkten diese touristische "Völkerwanderung", indem sie die Verlockungen einer Reise nach "Bella Italia" oder schlicht das dortige "Amore" priesen. Diese geschickte Mixtur von Sonne, Sand, Exotik und Erotik machten die Urlaubsreise dorthin zu einem Sehnsuchtsträger, der zugleich zu Hause das Sozialprestige hob. 

Mallorca wurde erst verspätet zur Trauminsel der Deutschen 

Nach Verbesserung der Verkehrsmöglichkeiten schwenkte mit gewisser Verspätung auch Spanien in die Reihe der Massentouristikländer ein. Die Costa Blanca und Costa del Sol, dann aber Mallorca wurden besonders beliebte deutsche Reiseziele. Verzeichnete die größte Baleareninsel 1950 erst 229 deutsche Einzelreisende, so kamen 1954 mit der Eröffnung der Pauschalreisen immer mehr dorthin. 1967 wurden dort bereits 267 000 deutsche Urlauber gezählt. Diese deutsche Trauminsel wurde fortan zum Testgebiet von Kampfpreisen großer Reiseveranstalter. Seit 1966 konnten deutsche Rentner für 750 bis 900 DM preiswert sogar überwintern. 1971 veranstaltete Scharnow-Reisen erstmals viertägige Wochenendausflüge dorthin für 149 DM. Mit 2 Stunden Flug kam ein Hamburger Ausflügler im bequemen Jet-Sessel schneller dorthin als an den überfüllten Ostseestrand. 1965 verbrachten erstmals 1 Million Deutsche ihren Urlaub in Spanien, das hinter Italien und Österreich den dritten Platz in der Beliebtheitsskala erhielt, bis es in den 1970er-Jahren mit 6 Mill. deutschen Touristen sogar die Spitze des deutschen Auslandstourismus erreichte.

Andere europäische Urlaubsländer konnten bis in die 1970er-Jahre nur geringe Anteile am deutschen Massentourismus gewinnen. Touren in die benachbarten Benelux-Staaten hatten meist nur den Charakter verlängerter Wochenendausflüge, während der Reiseverkehr nach Skandinavien, wo der nahe deutschsprechende Teil Dänemarks ein Drittel aller deutschen Urlauber aufnahm, aus preislichen wie klimatischen Gründen keinen Massentourismus anziehen konnte. Norwegen und Schweden fanden zwar stets Liebhaber für ihre herben Naturschönheiten, aber die Zahl der Reisenden belief sich nie mehr als einige Zehntausende im Jahr. Die weltberühmten Schweizer Ferienorte wie auch die französische Riviera, wo der europäische Hochadel stets sein Winterquartier aufschlug, bis er dann von der neureichen "Jetset-Society" in der Nachkriegszeit abgelöst wurde, blieben an einem "Billigtourismus" uninteressiert. 

 

"Fernweh"

 Dagegen hilft der nur der Flieger denken viele Deutsche und starten dorthin, wo sie Sonne und Strand erwarten - und vielleicht noch einiges mehr. 

Foto: Flughafen Stuttgart GmbH 

Der Flugtourismus setzte 1962 ein 

Das frühere Jugoslawien und Griechenland rückten erst nach dem Bau der großen Transitstraße "Autoput" 1961 den automobilen Touristen näher, doch blieben solche Fahrten wegen des dünnen Tankstellennetzes, der fehlenden Autokarten und Ersatzteile mehr ein Abenteuer für Wagemutige, die von den niedrigen Lebenshaltungskosten und einem Campingaufenthalt angezogen wurden. Die beiden Balkanländer profitierten aber später ebenso wie Tunesien, Marokko, Ägypten und endlich auch die Türkei von den deutschen Touristen, die neue Länder sehen wollten. Zwar bot Touropa schon 1956 nach Wiedererlangung der Lufthoheit erste Flugreisen nach Sizilien, Capri und die Adriaküste an, bei denen man die Zielorte in 2 bis 3 Stunden statt in 15- bis 20-stündiger Bus- oder Bahnfahrt erreichen konnte, doch war der Preis in den 12 kleinen Maschinen der vier Charterfluggesellschaften so hoch, dass sich nur wenige solchen Lufttourismus leisten konnten. 

Erst 1962 setzte allmählich der massenhaft organisierte Flugtourismus ein. Nach dem Übergang zum großen Düsenflugzeug rückten nun auch die Atlantikinseln, die Palmen-Oasen Nordafrikas sowie die Küsten Kleinasiens in die normale Distanz von 2 bis 3 Flugstunden. Zwischen 1957 und 1967 versechsfachte der Flugtourismus seinen Marktanteil, und die Zahl der beförderten Passagiere stieg von 13 700 (1963) auf 1 250 400 (1969). Alle größeren Reiseveranstalter boten nun Flugreisen an, was zu erbitterten Niedrigpreisschlachten führte. Der Flughafen Palma de Mallorca, der 1969 47 v.H. aller deutschen Pauschalflugreisenden abfertigte, wurde nun zum Symbol für die verlorene Exklusivität der Flugreise. Das schnellste Urlaubsverkehrsmittel verlieh diesen Reisen einen ganz neuen Charakter, da man hier nicht mehr länger in Kilometern und Seemeilen, sondern in Minuten dachte. 

Touristica Teutonica im Kreuzfeuer bürgerlicher Kulturpolitik 

Der Massentourismus hat nach seinem Entstehen zahlreiche Untersuchungen über Reisemotive, Reiseintensität und Reisedauer sowie die Verkehrsmittel, Reiseunternehmen und Reisebüros, über die speziellen Reisearten sowie das Verhältnis des Touristen zu den Einheimischen am Urlaubsort, die sozialen wie ökologischen Schattenseiten ausgelöst (vergl. Literaturhinweise). Konsens besteht wohl darin, dass der massenhafte Reisedrang der Deutschen nichts mehr mit der alten romantischen Naturverherrlichung an sich und der bürgerlich-elitären Bildungsreise des 18./19. Jahrhunderts zu tun hat, sondern eine neue Art der Lebensglücksuche in der Wohlstandsgesellschaft bildet. Die immer größer gewordene arbeitsfreie Zeit wird neben Familie und Beruf nun als tertiärer gleichberechtigter Lebensansatz verstanden. Die Urlaubsreise bietet die Chance, den potenziellen Trägern des "persönlichen Glücks" näher zu kommen. Wenngleich die Auffassung fremder Natur und Kultur weiter von Klischees dominiert wird, so wird doch diese Illusion für eine kurze Zeit mit der Realität verwechselt und so eine Reisemotivation ausgelöst. Diese "Entwürfe für ein kleines Paradies", die eine Flucht aus dem Alltagsmilieu für einige Wochen oder Tage verheißt, darf nicht hochnäsig pauschal vom intellektuellen Standpunkt herabgewürdigt werden. Bildung und Reisen gehören heute nicht mehr unbedingt wie früher zusammen. 

Der Massentourismus ist deshalb seit seinem Auftauchen auch zum Exerzierfeld harscher bildungsbürgerlicher Kulturkritik geworden. Hans Magnus Enzensberger hat sich 1958 in einem Aufsatz der Zeitschrift Merkur zu ihrem ersten Sprachrohr gemacht und das organisierte Gesellschaftsreisen angeklagt, weil es alle Kennzeichen des seelenlosen Maschinenwesens trage: Normierung und Serienproduktion. Weniger emotionsgeladen lässt sich dies auch als Rationalisierung und Mechanisierung des Fremdenverkehrs bezeichnen. Der bekannte Lyriker und Essayist hat diesen in der ganzen modernen Wirtschaftsgeschichte registrierten Vorgang hier zum Anlass seiner Kritik genommen, beim Tourismus werde Freiheit als "Massenbetrug" verkauft. Die Reisekataloge suggerierten Glück und produzierten Unfreiheit, da sie den Menschen nur temporär von der monotonen Alltagswelt befreiten und in eine neue kollektive Abhängigkeit trieben. Die großen Touristikunternehmer würden quasi-militärisch mobilmachen und wie bei den KdF-Reisen generalstabsmäßig "Verschickungen" von Menschenmassen in "Ferienlager" mit "unsichtbaren Wachttürmen" vornehmen, wobei die Reiseleiter und Hoteliers von ihm als gerissene "Bettenhändler" karikiert wurden. Die Leitbilder des modernen Tourismus, nämlich das romantische Erleben von Natur und Zeugnissen menschlicher Geschichte sowie die Sehnsucht nach der Ferne, würden hier kaufmännisch profitabel vermarktet. 

Die Tourismusbranche hat diese Fundamentalkritik, mit Dr. Hubert Tigges als erfahrenen Arrangeur von Pauschalreisen an der Spitze gereizt Punkt für Punkt zurückgewiesen. Auch die nun aufkommende Tourismuswissenschaft widersprach Enzensbergers Pauschalverdammung. Der moderne "Serientourismus" als direkte Folge der modernen Verstädterung und Industrialisierung spiegele ihrer Ansicht nach nur den Gang der wirtschaftlichen und soziokulturellen Entwicklung wider. Wurde früher eine teure Bade-, Bildungs- oder Vergnügungsreise aus angesammeltem Vermögen finanziert, so könne sie nun als eine übliche Haushaltsausgabe betrachtet werden, die sich auch einfache Arbeitnehmer, selbst allein stehende Frauen und Rentner, im Gegensatz zu früher leisteten. Der jährliche Urlaub ist in der Tat für breite Bevölkerungsschichten realisierbar geworden und Bestandteil des modernen Konsumstils, dessen saisonalen und modischen Trends er seitdem unterliegt. Der neue "Sozialtourismus" bedeutet daher eine Demokratisierung des Reisens und zugleich eine gewisse geistig-psychische Horizonterweiterung gerade für die breiten Schichten, was auch für Inlandsreisen gilt. Der manchmal verspottete und geschmähte Massentourismus hat früher unbekannte Lebensgefühle vermittelt, alte Sozialkonflikte entschärft und durch die Entprivilegierung des ursprünglichen Luxusgutes "Urlaubsreise" zur inneren wie äußeren Stabilisierung der Bundesrepublik beigetragen. 

Über das Auftreten von Millionen deutscher Urlauber, die inzwischen selbst im höheren Greisenalter biologisch rüstig fast alle Gegenden der Welt bereisen, kann man aus Sicht der Kleiderästhetik, höflicher Manieren und Achtung fremder Sitten manchmal verschiedener Meinung sein, aber es hieße einen normalen Touristen überfordern, überall als Botschafter seines Heimatlandes feingeschliffen aufzutreten. Reisende Ausländer zeigen in der Bundesrepublik auch ihre uns manchmal höchst seltsam erscheinenden Eigenarten, die wir lächelnd hinnehmen. 

Hässliche Kehrseiten und Plädoyer für einen unsanften Tourismus

Ebenso falsch ist es, den modernen Tourismus generell für die Zerstörung unverbauter Natur oder der Sozialstruktur eines kleinen Fischerortes mit seiner angeblich "heilen Tradition" allein verantwortlich zu machen. Verfolgt man den Einzug des Tourismus in einer bestimmten Region historisch- minutiös, dann entdeckt man stets komplexe Phänomene einer sich lokal rationalisierenden Wirtschaft, vor allem den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, und der Verstädterung, also Elemente eines sowieso irreversiblen Modernisierungsprozesses. Die zweifellos vorhandenen ökologischen Übel des Massentourismus, die zunächst übersehen oder zu gering eingeschätzt wurden, werden inzwischen durch das Zusammenwirken verschiedener Institutionen seit den 1980er-Jahren dauernd sich verstärkend angegangen. Von der übrigen sozialen Umwelt abgeschottete Ferienclubs mit All-inclusive-Service oder klotzige Fünfsterne- Hotels inmitten einer bitterarmen einheimischen Bevölkerung, aber auch leichtsinnige Abenteurerreisen, Erdrutsche und Schneelawinen auslösende Skipisten in den Alpen, Drogen- und Sextourismus wie auch die "Blechschlangen" auf den Straßen in Naturschutzgebieten, rufen nach weiteren rechtlichen Regulierungen, deren internationale Umsetzung aber schwierig bleibt. Alle diese Missstände als hässliche Kehrseite des modernen Tourismus rechtfertigen aber keine prinzipielle Einschränkung der gewonnenen Reisefreiheit als Form der grundgesetzlich und in der EU garantierten Freizügigkeit. Es erscheint widersprüchlich, wenn gerade Verfechter individueller Emanzipation des Bürgers hier nach dem starken Staat rufen. 

Wie hoch dieses Konsumgut Mobilität als urdemokratisches Grundrecht anzusehen ist, zeigte das Reiseverhalten der DDR-Bewohner. Bekanntlich trugen gerade die mangelnden Auslandsreisemöglichkeiten zur Destabilisierung der zweiten deutschen Diktatur bei. Nach 1989 steuerten die Ostdeutschen nicht zufällig sofort die Urlaubsziele in Österreich und Italien mit Pauschalreisen an. Der zu Unrecht geschmähte Massentourismus, der längst alle Länder Europas erfasst und globale Ausmaße angenommen hat, wird auf die Dauer mit Sicherheit weiter expandieren, wobei der "sanften Form" mit Schonung der natürlichen Ressourcen sicherlich der Vorzug zu geben ist. Wenngleich die Reisebranche europaweit seit dem 11. September 2001 und den Ölpreiserhöhungen nach einer langen Konjunkturblüte erstmals wieder einen starken Umsatzrückgang erlebt und nun einen Konzentrationsprozess durchmacht, um durch Straffung der Organisation und Angebotspalette kostensparende Synergieeffekte zu erzielen sowie neue Geschäftsfelder zu erschließen, so wird dies im freien Wettbewerb voraussichtlich wieder neuen Aufschwung bringen. Die Bundesrepublik gehört, wie eingangs zahlenmäßig demonstriert, jedenfalls zu den Ländern mit der größten bezahlten Freizeit, was die sichere Basis für das weiter anhaltende "Fernweh der Deutschen" bildet. 

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