Zeitschrift Deutschland Ost - Elite West - Elite Ost? |
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Eliten in den alten
und den neuen Bundesländern*
Von Ursula Hoffmann-Lange Prof. Dr. Ursula Hoffmann-Lange lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bamberg. Wie in einer Gesellschaft Macht erworben, ausgeübt
und in politischen Einfluss umgesetzt wird, ist Thema der
Elitenforschung. Sie interessiert sich dabei nicht für
die "Besten", sondern für diejenigen, die tatsächlich
gesellschaftliche Führungspositionen innehaben - in
den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft: in Politik,
Verwaltung, Rechtssprechung, Militär, Parteien, Verbänden,
Kirchen, Wirtschaft. Als Fragen stehen im Mittelpunkt: Wie
und woher rekrutieren sich die Eliten, welche Einstellungen
weisen sie auf im Vergleich zur Gesamtbevölkerung,
wie sind die Beziehungen zwischen den Eliten der verschiedenen
Sektoren? Welche Folgen hat das für die Gesellschaft
insgesamt? Und für den deutschen Fall: Was bedeutet
es, dass die Eliten in Deutschland West und Deutschland
Ost so ganz anders aussahen? Jeder Regimewechsel hat Folgen für die Elitestruktur Die Verwerfungen in der politischen Entwicklung Deutschlands
im 20. Jahrhundert blieben nicht ohne Rückwirkung auf
die Struktur der deutschen Elite. Jeder politische Regimewechsel
zog über kürzer oder länger auch eine grundlegende
Elitentransformation nach sich. Denn unterschiedliche politische
Regimetypen beeinflussen über die Regeln für den
Erwerb und die Ausübung politischer Herrschaft hinaus
auch die Art und Weise, wie in einer Gesellschaft Macht
erworben, ausgeübt und in politischen Einfluss umgesetzt
werden kann. Dementsprechend bildeten sich nach der 1945
erfolgten Teilung Deutschlands in der alten Bundesrepublik
und in der DDR sehr unterschiedliche Eliteformationen heraus.
In der alten Bundesrepublik entstand eine demokratische
und pluralistische Elitestruktur, in der die Inhaber politischer
Herrschaftspositionen mit den Repräsentanten der politischen
Parteien, der Unternehmen, der unabhängige Medien sowie
der zahlreichen frei gebildeten Interessengruppen zusammenwirken.
Gleichzeitig entwickelte sich im Verlauf der Jahrzehnte
nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein breiter Elitenkonsens
über die demokratischen Spielregeln. Verschiedene Eliteuntersuchungen
(vgl. Hoffmann-Lange1992) ergaben dementsprechend,
dass die Eliteformation der alten Bundesrepublik dem Typus
einer konsensuellen Elite mit einem hohen Maß an Elitenintegration
entspricht. Die DDR war demgegenüber ein monokratisches
Regime, in dem die SED die gesellschaftliche Führungsrolle
beanspruchte, der sich alle anderen gesellschaftlichen Bereiche
unterzuordnen hatten. Auch wenn die staatliche Repression
über die Jahre abnahm und die DDR-Bürger durchaus
ein gewisses Maß an bürgerlichen Freiheiten und
Rechtssicherheit besaßen, war politische und gesellschaftliche
Macht doch in hohem Maße bei der Parteiführung
konzentriert, während die übrigen Institutionen
nur über beschränkte eigenständige Handlungsspielräume
verfügten. Der Aufstieg in Führungspositionen
erfolgte nach einem zentralisierten und formalisierten Normenklatursystem,
in dem bestenfalls die Kirchen ein gewisses Maß an
Autonomie bei der Rekrutierung ihres Führungspersonals
besaßen. In allen anderen Bereichen waren die Mitgliedschaft
in der SED und die Anerkennung der Verbindlichkeit des Marxismus-Leninismus
wesentliche Voraussetzungen für eine weiterführende
Karriere. Insofern entsprach die DDR-Elite dem Typus einer
ideokratischen Elite (vgl. Higley/Burton 2000). Mit
dem Fall der Mauer, dem zunächst eigenständigen
Demokratisierungsprozess in der der DDR und dem anschließenden
Beitritt der neuen Bundesländer zur Bundesrepublik
ging daher zwangsläufig ein tiefgreifender Elitenwandel
einher.
In der alten Bundesrepublik hatte sich trotz zunächst hoher personeller Kontinuität eine demokratisch-konsensorientierte Elite herausgebildet Nach der militärischen Kapitulation des Dritten
Reichs, das seinem totalitären Charakter entsprechend
eine ideologisch homogene ausgerichtete Machtelite aufwies,
wurden mit der Gründung der Bundesrepublik die institutionellen
Voraussetzungen für einen demokratischen Wandel der
Elitestruktur geschaffen. Gleichzeitig hatte die Erfahrung
mit nationalsozialistischem Totalitarismus, Krieg und Niederlage
bessere Voraussetzungen für die Unterstützung
demokratischer Institutionen und für einen Konsens
über demokratische Spielregeln geschaffen als dies
zu Beginn der Weimarer Republik der Fall gewesen war. Allerdings
vollzog sich dieser Wandel in der Elitestruktur ohne umfassende
Elitenzirkulation, d.h. die personelle Kontinuität
war relativ hoch. Eine fundamentale organisatorische Umstrukturierung
und personelle Erneuerung gab es lediglich bei den politischen
Parteien und in den Medien. Von daher fanden sich in den
ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik noch sehr viele
Personen in den Eliten, die schon während der Zeit
des Nationalsozialismus herausgehobene Funktionen wahrgenommen
hatten. Vielfach wurde von Kritikern auf die politischen
Belastungen hingewiesen, die sich aus dieser personellen
Kontinuität ergaben, und es wurden dementsprechend
Zweifel an der demokratischen Zuverlässigkeit mancher
Gruppen innerhalb der westdeutschen Elite geäußert.
Spätestens mit dem Regierungswechsel von 1969 war jedoch
offenkundig, dass sich über die Jahre eine demokratisch-konsensorientierte
Elite entwickelt und sich dementsprechend die Demokratie
in der Bundesrepublik konsolidiert hatte. Ein gehobener, aber kein exklusiver familiärer Hintergrund Seit 1968 wurde eine Reihe von Eliteuntersuchungen in
der alten Bundesrepublik durchgeführt, die es erlauben,
die Wandlungen in der sozialen Zusammensetzung, den Karrierewegen,
den Wertorientierungen und den politischen Konfliktlinien
innerhalb der westdeutschen Eliten nachzuzeichnen. Es handelt
sich dabei um die Mannheimer Elitestudien von 1968 (n =
808), 1972 (n = 1.825) und 1981 (n = 1.744). 1995 wurde
diese Tradition mit der ersten gesamten deutschen Potsdamer
Elitestudie (n = 2.341) fortgesetzt. In alle vier Umfragen
wurden die Inhaber von Führungspositionen in verschiedenen
Sektoren einbezogen, d.h. in Politik, Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen,
Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Massenmedien,
Wissenschaft, Militär und einer Reihe kleinerer Sektoren
(u. a. Kirchen, Berufsverbände).2 Die Veränderungen
in den soziodemographischen Merkmalen der Eliten, die sich
dank der Studie von Zapf (1965) sogar bis in das Kaiserreich
zurückverfolgen lassen, zeigen einen Wandel von einer
sozial exklusiven Eliteformation, die zunächst noch
stark durch den Adel dominiert war, zu einer sozial relativ
offenen Elite, deren Angehörige sich überwiegend
aus der Mittelklasse rekrutieren. 1981 gehörten nur
noch 78 von 3.164 (2,5%) führenden Positionsinhabern
in der alten Bundesrepublik dem Adel an. Heute stammt fast
die Hälfte der Eliten aus Familien gehobener Angestellten
oder Beamten und ein weiteres Fünftel aus Selbstständigenhaushalten.
Im Vergleich zur Bevölkerung der Bundesrepublik weisen
die Eliten damit einen gehobenen, aber keinen exklusiven
familiären Hintergrund auf. Unterschiede in den Wertorientierungen Die Mannheimer Elitestudien enthielten neben Fragen zu den soziodemographischen Merkmalen auch solche zu allgemeinen politischen Wertorientierungen und erhoben zudem auch Einstellungen zu aktuellen politischen Streitfragen, die die traditionellen Konfliktlinien zwischen den politischen Parteien betreffen.3 Die diesbezüglichen Ergebnisse zeigen durchweg ein hohes Maß an Konsens über die politischen Institutionen, verbunden mit ausgeprägten Meinungsdifferenzen über politische Streitfragen, v.a. über sozioökonomische Verteilungsfragen. In diesen Fragen stehen die eher konservativ-marktwirtschaftlich orientierten Gruppen (Unionspolitiker, Wirtschaftseliten) den eher umverteilungsorientierten Gruppen (SPD-Politiker, Gewerkschaften, kulturelle Eliten) gegenüber. Vergleichbar ausgeprägte Unterschiede lassen sich auch für eine zweite Konfliktdimension feststellen, die religiös-traditionalistische vs. säkular-individualistische Wertorientierungen betrifft (vgl. Jagodzinski/Kühnel 1997). Auf der ersten Konfliktdimension stand die FDP zunächst eher rechts von der Union, rückte dann Ende der sechziger Jahre in die Mitte zwischen den beiden großen Parteien und in den achtziger Jahren schließlich wieder stärker nach rechts. Im Hinblick auf ihre Wertorientierungen standen die FDP-Politiker und FDP-Anhänger in den Eliten dagegen von Anbeginn der säkular-individualistischen Haltung der SPD und der Grünen näher. Ein hohes Maß an parteipolitischer Durchdringung Die Parteienkonkurrenz um die Besetzung politischer Herrschaftspositionen
ist zweifellos ein zentrales Merkmal von Demokratien. Von
daher muss das Verhältnis der verschiedenen sektoralen
Eliten zu den politischen Parteien als ein wesentlicher
Aspekt der Elitestruktur betrachtet werden. Die alte - und
auch die neue -Bundesrepublik, die ja vielfach auch als
Parteienstaat bezeichnet wird, zeichnet sich im internationalen
Vergleich durch eine hohe gegenseitige Durchdringung von
Staat, Gesellschaft und politischen Parteien aus. Dies lässt
sich einmal daran ablesen, dass ein relativ hoher Prozentsatz
der Eliten einer politischen Partei angehört. Auch
hier existieren jedoch wieder deutliche Unterschiede zwischen
den verschiedenen Sektoren. Der Anteil der Parteimitglieder
ist besonders hoch in der Ministerialbürokratie (1995:
47,4%) und in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
(1995: 43,7% in der ARD und 24,3% im ZDF), wo er allerdings
mit der Etablierung privater Sender zurückgegangen
ist (vgl. Bürklin 1997). Ein noch höherer
Anteil findet sich allerdings in den Gewerkschaftsführungen
(1995: DGB 88,9%, DAG 75,0%). Auch in den Unternehmerverbänden
ist der Anteil der Parteimitglieder relativ hoch, während
die Repräsentanten von Industrie und privaten Medien
eine größere Distanz zu den Parteien wahren. Der Elitenaustausch nach 1945 hatte die DDR in Probleme gestürzt Mit der Gründung der DDR wurde die nationalsozialistische
Machtelite durch die ebenfalls ideokratische SED-Elite abgelöst.
Die Elitenzirkulation war dabei erheblich tiefgreifender
als in der alten Bundesrepublik, vor allem in der öffentlichen
Verwaltung und der Justiz. Aufgrund des umfassenden Machtanspruchs
des staatssozialistischen Systems erstreckte sie sich zunehmend
auch auf den Bereich der Wirtschaft, wo durch Enteignungen
und Verstaatlichung von Unternehmen eine Zentralverwaltungswirtschaft
etabliert wurde. Da die ehemalige KPD kein Personal hatte,
das über hinreichende Erfahrungen verfügte, führte
die rasche Ablösung der alten Eliten zu Problemen beim
Wiederaufbau einer funktionstüchtigen Staatsverwaltung,
was die durch stärkere Belastung mit Reparationsleistungen
an die Sowjetunion ohnehin geringere Leistungskraft der
ostdeutschen Wirtschaft noch weiter beeinträchtigte.
Die zunehmende Unzufriedenheit der Bürger, eine daraus
resultierende anhaltende Fluchtbewegung in den Westen, sowie
interne Machtkämpfe trugen dazu bei, dass die Legitimität
des SED-Regimes gering blieb. Nachdem mit dem Mauerbau
1961 die Option der Flucht in den Westen weggefallen war,
erlebte die DDR eine Phase der äußeren und inneren
Stabilisierung. Das Regime bemühte sich um eine
innere Konsolidierung durch Reformen des Wirtschaftssystems
im Sinne einer stärkeren Dezentralisierung der Leitungsverantwortung.
Dies hatte auch Rückwirkungen auf die Struktur der
DDR-Elite. Mitte der sechziger Jahre konstatierte Peter
Christian Ludz (1968) einen sich anbahnenden Generationswandel
in der DDR-Elite, der sich in der Ablösung von Altkommunisten
(strategische Clique) durch jüngere, bereits
in der DDR ausgebildete Fachleute (institutionalisierte
Gegenelite) niederschlug. Ludz erwartete, dass sich
die totalitären Strukturen daher in Richtung eines
konsultativen Autoritarismus verändern würden.
Allerdings unterschätzte Ludz dabei das Beharrungsvermögen
der Altkommunisten, die die Kontrolle über die strategischen
Machtpositionen in der SED-Führung und im Staatsrat
behielten, so dass die jüngeren Fachleuten lediglich
im nachgeordneten Staatsapparat Fuß fassen konnten.
Gleichzeitig überschätzte Ludz die politischen
Konsequenzen der Steigerung des Ausbildungsniveaus, die
keineswegs automatisch zu einer verstärkten Berücksichtigung
technokratischer Effizienzkriterien führte, da der
Aufstieg in zentrale Führungspositionen auch weiterhin
von einer Anpassung an die ideologischen Vorgaben der Parteiführung
abhing. Ein grundlegender Unterschied zum Transformationsprozess in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks Die Regimetransformation, die der Implosion der
DDR (vgl. Derlien 1997: 331) folgte, unterschied
sich grundlegend von der in den anderen mittelosteuropäischen
Ländern, da sie durch die Zweistaatlichkeit Deutschlands
geprägt wurde. Es war sehr schnell klar, dass die DDR
nicht als eigenständiger Staat würde weiterbestehen
können, sondern dass angesichts der anhaltenden Migrationsbewegung
von Ost nach West und der desolaten Situation der DDR-Wirtschaft
eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten unvermeidlich
war. Das im Hinblick auf Territorium, Bevölkerungszahl
und Wirtschaftskraft größere Gewicht der alten
Bundesrepublik setzte der Erhaltung autonomer Strukturen
in Ostdeutschland Grenzen. Es führte letztlich dazu,
dass die deutsche Vereinigung in Form eines Anschlusses
der neuen Bundesländer nach Art. 23 GG erfolgte, was
bedeutete, dass die neuen Bundesländer nicht nur das
Grundgesetz und das politische Institutionensystem übernahmen,
sondern auch das Wirtschaftssystem und weitgehend auch das
intermediäre System der Parteien und Interessengruppen.
Elitentransfer aus dem Westen Die Elitentransformation war vor allem aus drei Gründen sehr tiefgreifend. Der erste ist in der gerontokratischen Natur der DDR-Elite zu suchen, die es ermöglichte, die Mitglieder der ehemaligen DDR-Elite schnell in den Ruhestand zu verabschieden. Zweitens wurden durch die deutsche Vereinigung nur in geringem Umfang neue Elitepositionen geschaffen, während gleichzeitig das Gros der bereits existierenden Elitepositionen bereits durch Westdeutsche besetzt war. Und drittens bestand aufgrund der Besonderheit der deutschen Situation die Möglichkeit des Elitentransfers aus den alten Bundesländern (vgl. Derlien 1997). Damit stand ein Reservoir an potenziellen Führungskräften zur Verfügung, die das die erforderlichen Qualifikationen und Berufserfahrungen aufwiesen und die durch die Transformation des Institutionensystems freiwerdenden bzw. neu entstehenden Führungspositionen in den neuen Bundesländern übernehmen konnten. Von einem solchen Elitentransfer wurde vor allem in denjenigen Bereichen Gebrauch gemacht, die in der DDR am stärksten politisiert waren und daher grundlegend umstrukturiert werden mussten, also in der öffentlichen Verwaltung, dem Militär und der Justiz. Dies impliziert, dass heute selbst in den neuen Bundesländern ein beträchtlicher Anteil von Führungspositionen von Personen wahrgenommen wird, die aus dem Westen stammen. Die Herkunft aus Deutschland Ost oder Deutschland West ist nach Elitensektoren sehr unterschiedlich Die Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie von 1995
in Tabelle 1 weisen das Ausmaß der Unterrepräsentation
von Personen aus, die vor 1989 in der DDR gelebt haben (vgl.
Tabelle1). Sie zeigen jedoch auch, dass das Ausmaß
der Unterrepräsentation sektorspezifisch sehr unterschiedlich
ausfällt. Zunächst ist festzustellen, dass im
Sektor Politik ehemalige DDR-Bürger 4 nicht
unter-, sondern sogar deutlich überrepräsentiert
sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass mit
der deutschen Einigung fünf neue Bundesländer
und mit der PDS eine zusätzliche Bundestagspartei hinzugetreten
sind. Diese nehmen die Repräsentation der Interessen
der neuen Bundesländer wahr. In den Medien,
der Wissenschaft und dem Verbandssektor (Wirtschaftsverbände,
Gewerkschaften) sind ehemalige DDR-Bürger zwar unterrepräsentiert,
aber immerhin nehmen sie noch etwa ein Zehntel der Führungspositionen
ein.
Selbst in den neuen Bundesländern stammen die Verwaltungsspitzen aus dem Westen Dass Bürger aus den neuen Bundesländern in der Bundespolitik ungefähr entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind, zeigt Tabelle 2. Und obwohl einige prominente westdeutsche Politiker in die neuen Länder gewechselt und dort als Ministerpräsidenten oder Minister tätig sind (u.a. Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel), stammt die große Mehrheit der Politiker in den neuen Bundesländern auch von dort. In der Verwaltung ist dies dagegen deutlich anders. Die Bundesverwaltung ist bislang noch fest in westdeutscher Hand, und selbst die Inhaber von Spitzenpositionen in den Verwaltungen der neuen Bundesländer kommen überwiegend aus dem Westen.
Eine Symbiose aus westlichen Eigentümern und ostdeutschen Managern Auch im Wirtschaftssektor liegt die Repräsentation
ehemaliger DDR-Bürger nahe Null. Dies ist in erster
Linie darauf zurückzuführen, dass im Zuge der
Privatisierung der ehemaligen Staatswirtschaft durch die
Treuhandanstalt aufgrund ihrer größeren Kapitalkraft
fast nur westdeutsche und ausländische Bieter zum Zuge
kamen. Insofern befinden sich die meisten in den neuen Bundesländern
ansässigen Unternehmen heute im Besitz westdeutscher
Unternehmen. Zudem gehören nur wenige dieser Unternehmen
zur Gruppe der größten deutschen Unternehmen,
die in der Positionenauswahl für die Potsdamer Elitestudie
berücksichtigt wurden. Der Vorrang der Effizienz Generell ist zu konstatieren, dass bei der Umgestaltung des Institutionensystems in den neuen Bundesländern für diejenigen Positionen, für die spezielle Fachkenntnisse erforderlich sind, Effizienzgesichtspunkte Vorrang vor Repräsentationsgesichtspunkten genossen. Sofern keine eigenen Fachleute zur Verfügung standen, wurden solche aus dem Westen berufen. Dies war vor allem dort der Fall, wo westliches Institutionenwissen bzw. juristische Fachkenntnisse gefragt sind. In diesen Sektoren entstand eine Repräsentationslücke. In den Delegationseliten jedoch, also denjenigen Sektoren, in denen es mehr auf Vertrautheit mit den regionalen Gegebenheiten ankommt (Politik, Medien, Verbände), in denen also eher Generalistenwissen gefordert ist, hatten ehemaligen DDR-Bürger bessere Chancen (vgl. Welzel 1997: 15; Derlien 1997: 396). Tabelle 2 gibt auch Auskunft über die Ost-West-Kontakte der befragten Eliten. Sie zeigt ein hohes Maß an Elitenkontakten zwischen beiden Regionen. Auch wenn bei den Landespolitikern und den führenden Beamten in den Länderverwaltungen eine Asymmetrie zwischen den alten und den neuen Bundesländern in dem Sinne zu konstatieren ist, dass Vertreter der alten Länder seltener Kontakte mit denen der neuen Länder haben als umgekehrt, liegen die Anteilswerte doch auch bei ihnen recht hoch und zeigen, dass die föderative Struktur der Bundesrepublik eine enge Verflechtung auch auf Länderebene mit sich bringt. Dies hat zweifellos die Chancen für eine schnelle Integration der neuen Bundesländer erhöht, andererseits jedoch auch die Chancen für Ressourcenkonflikte, wie man an den Auseinandersetzungen um die finanzielle Förderung der neuen Bundesländer im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs, aber auch an der Konkurrenz zwischen neuen und alten Ländern um Bundeszuschüsse sehen kann. Auf der zweiten Führungsebene ein höheres Maß an Kontinuität Unter elitetheoretischem Aspekt ist neben der Frage der
Repräsentation vor allem die Frage der Elitenreproduktion
bedeutsam. Inwiefern konnten sich Repräsentanten des
DDR-Regimes an der Macht halten, ähnlich wie dies in
der alten Bundesrepublik nach 1945 der Fall war? Alle vorliegenden
Untersuchungen bestätigen, dass mit dem Zusammenbruch
der DDR und der deutschen Vereinigung ein erheblich größerer
Bruch erfolgte und das Ausmaß der Elitenzirkulation
sehr groß war. Dieses Urteil hängt jedoch nicht
zuletzt davon ab, wie man Kontinuität operationalisiert.
Beschränkt man diese lediglich auf die Spitzenpositionen,
so kann an der These des Elitenwandels kein Zweifel bestehen,
gerade im Vergleich mit der weit höheren Kontinuität
in Westdeutschland nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs.
Allerdings muss man auch konstatieren, dass die meisten
der neuen ostdeutschen Führungskräfte in der DDR
nicht zur Opposition gehört hatten, sondern als Fachleute
bereits herausgehobene Führungspositionen der zweiten
Ebene erreicht hatten, also zur Subelite gehörten.
Dies gilt vor allem für den Unternehmensbereich und
die technischen Bereiche der öffentlichen Verwaltung
(vgl. Derlien 1997: 379). Insofern gibt es also auf
der zweiten Führungsebene ein höheres Maß
an Kontinuität und eine bessere Repräsentation
ehemaliger DDR-Bürger. Unterschiedliche Einstellungen zur Demokratie Im Zentrum der Potsdamer Elitestudie von 1995
stand - ähnlich wie in vielen Bevölkerungsumfragen
- die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen
den aus den alten und den neuen Bundesländern stammenden
Eliten. Die starke Stellung der PDS beruht auch darauf, dass sie die "Gerechtigkeitslücke" artikuliert Auch bei der Beurteilung der Frage, inwieweit soziale
Gerechtigkeit in der Bundesrepublik verwirklicht ist, existieren
beträchtliche Unterschiede nach Partei, nach Region,
sowie zwischen Eliten und Gesamtbevölkerung (vgl. Tabelle
3). Dieses Thema betrifft einen klassischen Konflikt im
Parteiensystem zwischen der eher umverteilungsorientierten
SPD und den bürgerlichen Parteien (Union und FDP),
wobei die Grünen in ihrer Einschätzung sogar noch
kritischer sind als die der SPD nahestehenden Eliten. Auch
bei Kontrolle für die Parteipräferenz sind die
aus den neuen Bundesländern stammenden Eliten seltener
der Meinung, die Realisierung sozialer Gerechtigkeit sei
in Deutschland realisiert, wobei die Ost-West-Unterschiede
bei den bürgerlichen Parteien jedoch nicht sehr ausgeprägt
sind. Dagegen nehmen insbesondere die Repräsentanten
und Anhänger von PDS, SPD und Bündnis 90/Grüne
eine sehr kritische Haltung ein.
Der Umfang der Staatstätigkeit als ideologische Trennlinie Eine weitere Frage, in der sich in Bevölkerungsumfragen
immer deutliche Ost-West-Unterschiede zeigen, betrifft den
Umfang der Staatstätigkeit. Während die bisher
betrachteten Einstellungsunterschiede zwischen Ost und West
direkt mit der unterschiedlichen materiellen Situation in
den alten und den neuen Bundesländern zusammenhingen,
betrifft die stärkere Befürwortung einer weitgehenden
Verantwortung des Staates für das Wohlergehen der Bürger
eher eine politisch-ideologische Grundhaltung. Die Unterstützung
für eine Reduzierung der Staatsaufgaben ist entsprechend
der marktwirtschaftlichen Tradition im Westen durchweg höher.
Noch deutlicher als die Ost-West-Unterschiede sind in dieser
Frage allerdings diejenigen zwischen Eliten und Bevölkerung
(vgl. Schaubild 2). Während eine große Mehrheit
der Bürger in beiden Regionen für eine Beibehaltung
des gegenwärtigen Umfangs der Staatstätigkeit
eintritt, befürwortet ein wesentlich höherer Anteil
der Eliten in beiden Regionen eine Verringerung der Staatsaufgaben.
Lediglich die der PDS nahestehenden Eliten lehnen dies zu
fast 100 Prozent ab. Ein Resümee Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten hat bisher nur wenig Rückwirkungen auf die Zusammensetzung und Struktur der Elite gehabt. Vertreter der neuen Bundesländer spielen in der gesamtdeutschen Elite noch keine ihrer Bevölkerungszahl entsprechende Rolle. Dies unterstreicht, dass die Vereinigung ein Anschluss der neuen Bundesländer an die alte Bundesrepublik war, in dessen Verlauf die neuen Bundesländer die westlichen Strukturen übernahmen. Angesichts der langen Dauer, die ein Aufstieg in Elitepositionen in Anspruch nimmt, ist auch nicht damit zu rechnen, dass in denjenigen Elitesektoren, in denen Ostdeutsche bislang kaum vertreten sind, ihr Anteil schnell steigen wird. Elitestrukturen wandeln sich unter stabilen politischen Bedingungen nur langsam, vor allem in gesellschaftlichen Bereichen, die über Rekrutierungsautonomie verfügen und in bei denen politische Proporzkriterien keine Rolle spielen. Der Umzug von Bundestag und obersten Bundesbehörden von Bonn nach Berlin, der wiederum den Umzug von Verbänden und Presseorganen nach sich zieht, dürfte jedoch jenseits seiner symbolischen Bedeutung zumindest mittelfristig auch Auswirkungen auf die Elitenrekrutierung haben, da er rein räumlich gesehen die Gelegenheitsstrukturen zugunsten ostdeutscher Nachwuchskräfte verbessern wird. Literaturhinweise Bürklin, Wilhelm, 1997: Politische Eliten in der Mediendemokratie. In: Karl Rohe (Hrsg.), Politik und Demokratie in der Informationsgesellschaft. Baden-Baden: Nomos: 55-78. Bürklin, Wilhelm, Hilke Rebenstorf et al., 1997: Eliten in Deutschland. Rekrutierung und Integration. Opladen: Leske + Budrich. Derlien, Hans-Ulrich, 1997: Elitezirkulation zwischen Implosion und Integration. Abgang, Rekrutierung und Zusammensetzung ostdeutscher Funktionseliten 1989-1994. In: Helmut Wollmann et al., Transformation der politisch-administrativen Strukturen in Deutschland. Opladen: Leske + Budrich: 329-415. Deutsch, Karl W., Lewis Edinger, 1959: Germany Rejoins the Powers. Standford: Stanford University Press. Deutsch, Karl W., Lewis J. Edinger, Roy C. Macridis, Richard L. Merritt, 1967: France, Germany and the Western Alliance. New York: Scribner's. Edinger, Lewis J., 1960: Post-Totalitarian Leadership: Elites in the German Federal Republic, American Political Science Review, Vol. 54, 58-82. Gabriel, Oscar W. (Hrsg.), 1977: Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Opladen: Leske + Budrich. Higley, John, Michael Burton, 2000: Elite Transformations in Democratization's Three Waves. Paper prepared for the XVIII World Congress of the International Political Science Association, Quebec City. Hoffmann-Lange, Ursula, 1992: Eliten, Macht und Konflikt in der Bundesrepublik. Opladen: Leske + Budrich. Hornbostel, Stefan, 2000: Von Überlebenden, Kolonisten und Newcomern. Neue und alte Eliten in Ost-deutschland. In: Kursbuch 139: 123-134. Jagodzinski, Wolfgang, Steffen M. Kühnel, 1997: Werte, Ideologien und Wahlverhalten. In: Oscar W. Gabriel (Hrsg.), Politische Orientierungen und Verhaltensweisen im vereinigten Deutschland. Opladen: Leske + Budrich: 449-471. Ludz, Peter Christian, 1968: Parteielite im Wandel, Opladen: Westdeutscher Verlag. Meyer, Gerd, 1991: Die DDR-Machtelite in der Ära Honecker, Tübingen: A. Francke Verlag. Rohrschneider, Robert, 1999: Learning Democracy. Democratic and Economic Values in Unified Germany. Oxford: Oxford University Press. Roller, Edeltraud, Ende des sozialstaatlichen Konsenses? Zum Aufbrechen traditioneller und zur Entstehung neuer Konfliktstrukturen in Deutschland. In: Oskar Niedermayer, Bettina Westle (Hrsg.), Demokratie und Partizipation. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2000: 88-114. Schneider, Eberhard, 1994: Die politische Funktionselite der DDR, Opladen: Westdeutscher Verlag. Wehling, Hans-Georg, 1988: "Sozialistische Demokratie" -Sozialismus ohne Demokratie? In: Gerd Meyer, Jürgen Schröder (Hrsg.) : DDR heute. Tübingen: Gunter Narr Verlag: 52 - 66 Welzel, Christian, 1997: Demokratischer Elitenwandel. Opladen: Leske + Budrich. Windolf, Paul, Ulrich Brinkmann, Dieter Kulke, 1999: Warum blüht der Osten nicht? Zur Transformation der ostdeutschen Betriebe. Berlin: edition sigma. Zapf, Wolfgang, 1965: Wandlungen der deutschen Elite. München: Piper. Zapf, Wolfgang, 2000: wie kann man die deutsche Vereinigung bilanzieren? In: Oskar Niedermayer, Bettina Westle (Hrsg.), Demokratie und Partizipation. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2000: 160-174. Anmerkungen * Die im vorliegenden Beitrag enthaltenen Tabellen und Schaubilder basieren auf einer Sekundäranalyse der Daten der Potsdamer Elitestudie von 1995 (vgl. Bürklin/Rebenstorf et al. 1997). Prof. Dr. Wilhelm Bürklin hat freundlicherweise der Verwendung der Daten für diesen Beitrag zugestimmt, wofür ich ihm an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte. 1 Von daher wird auch schon in diesem Teil auf die Ergebnisse der Potsdamer Elitestudie von 1995 zurückgegriffen (vgl. Bürklin/Rebenstorf et al. 1997), auf die später noch näher eingegangen wird, wenn es um Unterschiede zwischen den aus den alten und den neuen Bundesländern stammenden Eliten geht. 2 Die folgende Zusammenfassung stützt sich auf die zusammenfassenden Publikationen über die Ergebnisse dieser Projekte, in erster Linie auf Hoffmann-Lange (1992) und Bürklin/Rebenstorf et al. (1997). 3 Die ersten Elitebefragungen wurden in der alten Bundesrepublik schon vorher, nämlich bereits Mitte der fünfziger Jahre durchgeführt, allerdings waren die Fallzahlen dieser Studien sehr klein. Zudem dienten diese primär der Erhebung von Einstellungen zu aktuellen, v.a. außenpolitischen Fragen (Deutsch/Edinger 1959; Deutsch et al. 1967). 4 Der Begriff Bürger der ehemaligen DDR ist präziser als der vielfach verwendete Begriff Ostdeutsche, da aufgrund der starken Migrationsbewegungen zwischen Ost und West seit 1989 inzwischen viele ehemalige DDR-Bürger in den alten Bundesländern leben, viele ehemalige Bewohner der alten Bundesrepublik dagegen in den neuen. Im folgenden wird jedoch gelegentlich auch das Kürzel Ostdeutsche verwendet.
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