Zeitschrift Islam in Deutschland Die Grenzen der Religionsfreiheit Muslime in Deutschland Organisationen und Gruppierungen Von Ursula Spuler-Stegemann |
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Rund drei Millionen Menschen muslimischen Glaubens leben gegenwärtig in Deutschland. Da der Islam etwas Vergleichbares wie Konfessionen oder gar Kirchen nicht kennt, ist nur ein Teil der hier lebenden Muslime organisiert, und zwar in einer Vielzahl von Verbänden und Gruppierungen, die zu überschauen und einzuordnen den meisten Deutschen schwerfällt. Erst recht gilt das für eine Bewertung unter dem Aspekt der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Zentrale Fragen dafür sind die nach dem Stellenwert der Scharî’a – dem islamischen Gesetz – und nach der Anerkennung der Menschenrechte. Red.
Die Entwicklung einer muslimischen Parallelgesellschaft wurde bei uns bislang kaum wahrgenommen Die gründliche Antwort auf die Große Anfrage der CDU/CSU im
Bundestag vom 8. November 2000 beweist, dass deutsche Politiker die
Präsenz des Islam zunehmend zur Kenntnis nehmen.1 Die gähnende
Leere im Plenarsaal bei der abendlichen Diskussion dieser Vorlage
mag freilich einen gegenteiligen Eindruck vermitteln und zeigt, dass
das Verständnis für die Situation der hier lebenden Muslime noch
außerordentlich unterentwickelt ist. Das ist deshalb bedauerlich,
weil sich – von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – in den
letzten Jahren eine in fast allen Lebensbereichen autarke
muslimische Parallelgesellschaft entwickelt hat, die zumindest in
den städtischen Ballungsräumen funktioniert. Auch die Anfrage an
den Bundestag hat die Situation nicht umfassend in den Blick
genommen, hat sie doch einen der wichtigsten Faktoren dieser
gesellschaftlichen Autonomie gar nicht berücksichtigt, dass sich
hierzulande nämlich eine selbstständige islamische Wirtschaft
etabliert hat, die ihren Einflussbereich zusehends ausweitet.2 Rund drei Millionen Muslime leben gegenwärtig in Deutschland Der Islam wird in Deutschland durch Vereine, Dach- und
Spitzenverbände repräsentiert. Allerdings kann keiner der im
Folgenden aufgeführten Spitzen- und Dachverbände für alle
Muslime in Deutschland sprechen, und überhaupt nur 10 bis 15 % der
hiesigen Muslime dürften in diesen Verbänden erfasst sein.3 Zum
einen vertreten sie weder die 400 000 bis 600 000 türkischen
Aleviten, die sich eigenständig organisiert haben,4 noch die aus
dem offiziellen Islam ausgeschlossenen 60 000 pakistanischen Ahmadis,5
die sich selbst sogar als „die besten Muslime”
betrachten, noch die meisten Sufi-Derwisch-Orden, die von
traditionellen Muslimen als „heterodox” bezeichnet werden. Vor
allen Dingen nehmen sie nicht die Interessen der immer noch
schweigenden Mehrheit der hier lebenden Muslime wahr, die ihre
eigenen Vorstellungen endlich nachdrücklich einbringen müssen,
zumal nicht wenige von ihnen vor dem Scharî’a-Islam in ihren
Herkunftsländern geflohen sind. 6Im vorliegenden Beitrag werden die
21 extremistischen und militanten kleinen bis kleinsten
Gruppierungen wie Hamâs, Gia, Kalifatsstaat, Hizbollâh, Hizb
ut-Tahrîr oder Khatm-e Nabuwwat nicht abgehandelt, weil sie die
Verfassungsschutzberichte des Bundes und einiger Bundesländer wie
Baden-Württemberg, in denen sie charakterisiert werden, für jeden
Bürger abrufbar sind. Zu der in allen islamischen Ländern
verbotenen, aber auf der Frankfurter Buchmesse 1999 und 2000
vertretenen Hizb ut-Tahrîr findet man außerdem im Internet unter
Khilafah reichlich Informationen, genauso wie über andere
Extremisten. Internet-Institutionen wie der Muslim-Markt oder
Amana
Online mitsamt ihren „links“ verdienen eine eigene Darstellung.
Die nächstgroße muslimische Gruppe bilden – Stand: Ende Dezember
1999 – mit abnehmender Tendenz die Bosnier mit rund 168 000
Personen. Dann kommen mit etwa 115 000 die Iraner, gefolgt von den
Marokkanern mit 81 000; 71 000 kommen aus Afghanistan, 51 000
Personen (überwiegend Muslime) aus dem Irak, 38 000 aus Pakistan. Vier große Spitzenorganisationen gibt es derzeit Derzeit gibt es vier große Spitzenorganisationen:8 die türkei-staatliche
DITIB (Diyanet I¸seri Türk Islam Birlig˘i, Türkisch-Islamische
Union der Anstalt für Religion); den von der Islamischen
Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) mit ihren zahlreichen
Untergliederungen dominierten Islamrat der Bundesrepublik
Deutschland; ferner den Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD);
schließlich den nunmehr unabhängigen Verband der Islamischen
Kulturzentren (VIKZ) mit seinen 304 Moscheegemeinden und 21.000
Mitgliedern, der im August 2000 den Zentralrat verlassen hat.9 Dazu
kommen regionale Dachverbände wie die von Muslimbrüdern gegründete
Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) oder die Schura in
Hamburg, in der die IGMG großen Einfluss hat. Die meisten dieser
Verbände sind türkisch, nämlich DITIB, IGMG und VIKZ. Im übrigen
sind die Dachverbände gespalten in die semi-säkulare DITIB und in
die restlichen anti-säkularen Organisationen. Der Islamrat und viele kleinere Organisationen werden von Milli Görüs dominiert Der Islamrat der Muslime in Deutschland11 mit Sitz in Bonn als
zweitgrößter Dachverband besteht – neben der wichtigen
Jama’at-un Nur (Nurculuk) und winzigen weiteren Vereinen – im
Wesentlichen aus der türkischen Islamischen Gemeinschaft Milli
Görüs (IGMG) mit der vorstandsidentischen EMUG (Europäische Moscheebau
und -unterstützungsgesellschaft) und deren zugeordneten
Organisationen und Vereinen, die oft weder im Namen noch in der
Satzung als der IGMG zugehörig zu erkennen sind, wie IHH
(Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V.), Selpa
Lebensmittelhandel, Islamische Union Europa und deren juristische
Nachfolgeorganisation MSB (Muslimischer Sozialbund), GMSG (Gesellschaft Muslimischer
GeisteswissenschaftlerInnen), IPD
(Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik), DIF
(Deutschsprachige Islamische Frauengemeinschaft), Muslim
Studentenvereinigung in Deutschland oder zahlreiche Islamische Föderationen
wie die Islamische Föderation Berlin.
Die IGMG ist personell und
politisch-ideologisch aufs Engste mit der türkischen im Juli 2001
gegründeten „Saadet Partisi“, „Partei der Glückseligkeit“,
verbunden, die als Nachfolgerin der wegen ihrer anti-laizistischen
Umtriebe am 22. Juni 2001 vom türkischen Verfassungsgericht
verbotenen „Fazilet Partisi“, „Tugendpartei“, deren Politik
fortsetzt.13 Mehmet Sabri Erbakan, Neffe des mit Berufsverbot
belegten ehemaligen Ministerpräsidenten und Generalsekretärs der
bereits früher verbotenen Vorgängerparteien Necmettin Erbakan,
wurde in diesem Jahr (2001) Vorsitzender der IGMG. Die
„Tugendpartei“ wollte in der Türkei die Regierung übernehmen
und die Scharî’a einführen. Die IGMG wird vom Verfassungsschutz
beobachtet und als „extremistisch“ eingestuft,14 auch wegen
ihres Anti-Judaismus, den ihr Sprachorgan Milli Gazete unverhohlen
artikuliert.15 Die Milli Gazete verbreitet eindeutig
anti-laizistische Artikel. Dazu empfiehlt sie das Buch Soykırım
Yalanı (Die Völkermord-Lüge), das Harun Yahya alias
Adnan Oktay, bekannt auch als Adnan Hoca, verfasst hat und in dem er den
Holocaust als Geschichtsverfälschung kritisiert.16 Die Doppelbödigkeit
und mangelnde Transparenz sind vielerorts angeprangert worden.
Eindrucksvoll wurden sie im ARD-Report am 21. Mai 2001 anhand von
Aussagen und widersprechenden Dokumenten vor Augen geführt.17 Die
Wirtschaftsinteressen vertreten der IGMG zuzuordnende Holdings. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland Der arg geschrumpfte Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat nach dem Ausstieg von VIKZ seinen Sitz von Köln nach Eschwege verlegt. Diesem multi-ethnischen Spitzenverband gehört als einziger türkischer Verein ATIB (Avrupa Türk-Islam Birlig˘i, Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa) an.20 Mitglieder des Zentralrats sind ansonsten das Islamische Zentrum von Aachen, das den syrischen Muslimbrüdern, und das von München, das den ägyptischen Muslimbrüdern zuzuordnen ist, außerdem das schiitische Islamische Zentrum Hamburg, die deutschsprachigen Muslime vom Haus des Islam, die Muslimische Studentenvereinigung, die Deutsche Muslim-Liga Bonn, die Deutsche Muslim-Liga Hamburg, Albaner, Bosniaken etc. Der Zentralrat nimmt in Pressemitteilungen und im Internet zu aktuellen Themen Stellung. Wiewohl zahlenmäßig recht klein, ist er insbesondere durch seinen engagierten Vorsitzenden Dr. Nadeem Elyas politisch wirksam. Der im Jahr 2001 ernannte Generalsekretär des Zentralrats, Dr. Ayyub Köhler, gehört zu den bedeutendsten Vertretern des hiesigen Islam. Der „Verband der Islamischen Kulturzentren“ und was hinter ihm steht Der in Köln beheimatete Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) hat sich offenbar nicht erneut an einen Spitzenverband gebunden, nachdem er ja schon einmal dem Islamrat den Rücken gekehrt hatte. Seine Moscheen sind klar als dem VIKZ zugehörig gekennzeichnet. Schriften werden kaum publiziert.21 Von ihren früheren heftigen anti-semitischen und anti-christlichen Äußerungen haben sie sich längst offiziell distanziert. VIKZ ist ein Verband der Süleymancıs, die ihre Ordenszugehörigkeit allerdings nur sehr ungern zugeben – schon um nicht als Häretiker zu gelten. Sie sind eine endogame Sufi-Gruppe. Ein Süleymancı darf nur hinter einem Süleymancı beten, und er darf nur das Fleisch eines von einem Süleymancı rituell geschlachteten Tieres verzehren. Frauen dürfen nicht – und das ist ganz Islam-widrig – zur segensreichen Pilgerfahrt nach Mekka fahren.
Der VIKZ galt lange als besonders „dialog-offen”.22 Heute ist er verschlossen wie eine Auster, und es bestehen nur noch vereinzelte Außenwelt-Kontakte. Mitte 2000 wurde in Köln ihre Islamische Akademie Islah in der Kölner „Villa Hahnenburg”, die Begegnungsstätte zwischen Muslimen, Christen und Juden sein sollte, bereits nach zwei Jahren wieder geschlossen; die Mitgliedschaft in der Hamburger Schura wurde „suspendiert“ – beides wahrscheinlich veranlasst durch die Zentrale in Istanbul. Die neue Führungsspitze Denizog˘lu mit Pürlü als Generalsekretär übt sich in Distanz. Mehrgeschossige Internate und Moscheen werden weiterhin im ganzen Bundesgebiet gebaut. Internationale Verflechtungen und Geld aus dem Ausland Der Islamrat, der Zentralrat und VIKZ sowie ihre
Mitgliedsvereinigungen sind teils untereinander, aber auch weltweit
international mit entsprechenden Interessengruppen vernetzt. Gelder
aus dem islamischen Ausland fließen reichlich, z.B. aus Libyen oder
Saudi-Arabien. Bei der IGMG und einigen anderen Vereinigungen stehen
neben politischen insbesondere wirtschaftliche Interessen im
Vordergrund.23 Die Hoffnung auf einen Europa-Islam ohne Scharî’a bleibt wohl Vision Die Hoffnung, dass die Muslime in dem für sie ungewohnten Milieu freier Meinungsäußerung einen Europa-Islam ohne Scharî’a entwickeln könnten, wird wahrscheinlich eine Vision bleiben.24 Die hiesigen Organisationen – abgesehen von DITIB – sind nicht säkular. Das können sie auch gar nicht sein, weil sie ihr System als „Einheit von Religion und Staat“ (dîn wa daula) verstehen. In keinem islamischen Land gibt es eine demokratische Regierung, und zwar aus den unterschiedlichsten Gründen. Deshalb sind Überlegungen reine Spekulation, ob demokratische Ansätze gemäß dem koranischen Prinzip der schûrâ, der „Beratung”, in der Praxis in eine echte Demokratie mit einem Parteien-Pluralismus überführt werden können, auch wenn sie in der Theorie von modernen islamischen Denkern wie Abu Zaid, Farag Foda, Mohammed Arkoun, Muhammad Said Ashmawi, Abdullah Borek und zuletzt von Murad Wilfried Hofmann durchaus bejaht worden sind.25Der Islam bietet prinzipiell sehr wohl die Möglichkeit, in der Diaspora-Situation auf der Grundlage von Fatwas zu angemessenen Lösungen zu kommen, und könnte sein Selbstverständnis gegebenenfalls verfassungs- und gesetzeskonform gestalten.26 Dafür bedürfte es aber der Umsetzung durch eine der freien Meinungsentscheidung fähigen und befähigten, von allen anerkannten islamischen Juristen-Institution. Das setzt zumindest Einmütigkeit unter den Organisationen voraus. Jedoch hat jede Einzelne von ihnen ihren eigenen für Fatwas zuständigen Fiqh-Rat oder ist auch in dieser Hinsicht an entsprechende Institutionen im Ausland angebunden. Ein Konsens über einen schriftlich zu fixierenden Kodex als Voraussetzung für die Durchsetzung eines solchen Vorhabens ist deshalb eher nicht zu erwarten. Eine Individualisierung der Religion wird als Untergang des Glaubens gesehen Eine Individualisierung der Religion sehen diese Organisationen als Untergang des islamischen Glaubens an. Deshalb steuern sie gegen individuelle Freiheiten an, die sie immer dem „Gemeinwohl“ (maslaha) der Gemeinschaft der Gläubigen, der umma, unterordnen. Diese Feststellung gilt auch im Hinblick auf unsere individuellen Menschenrechte und das islamische Menschenrechtsverständnis. Vor einem vergleichbaren Niedergang des Islam wollen sie die hiesigen Muslime bewahren. Dagegen hilft ihrer Ansicht nach nur ein kompromissloses Festhalten am ursprünglichen Islam, also am Koran und an der Sunna einschließlich der Scharî’a. Ein Nebeneinander von Grundgesetz und Scharî’a? Unverzichtbar für den deutschen Staat ist und bleibt aber die Akzeptanz seiner Verfassung und seiner Gesetze durch jeden Einwohner, welche Religions- und Staatsangehörigkeit er auch immer ansonsten noch haben mag.27 Dieser Rechtsstaat kann nicht zweierlei Recht dulden und partiell die Scharî’a akzeptieren. Denn dies würde unweigerlich endgültig auf den „Staat im Staat“ hinauslaufen. Man muss aber leider davon ausgehen, dass unser Grundgesetz den meisten der hiesigen Muslime überhaupt nicht bekannt ist, weshalb dieser Staat allerdringendst Aufklärungsarbeit leisten muss. Deshalb muss eine – allerdings nicht genauer definierte – Umfrage außerordentlich nachdenklich machen, deren Ergebnis das Zentral-Institut Islam-Archiv in Soest in der „Moslemischen Revue publiziert hat und offenbar positiv einschätzt. Danach sollen knapp 50 % der befragten hiesigen Muslime keinen Widerspruch zwischen unserem Grundgesetz und dem Koran mehr sehen, bei steigender Tendenz. Wenn nun aber etwas mehr als die Hälfte der hiesigen Muslime den Koran und das Grundgesetz für miteinander unvereinbar hält, ist dies ein gravierender Befund. Denn dann kann man die Problematik nicht mehr auf die Islamisten reduzieren.28 Allerdings hat auch ein
Muslim in der Diaspora nach überwiegender Meinung der Theologen den
Gesetzen des jeweiligen Landes zu gehorchen, freilich unter der
dehnbaren Bedingung, dass er seinen Glauben praktizieren kann, und
mit der Einschränkung, dass dies nur Gültigkeit hat, „wenn der
Islam bzw. die Scharî’a dies gestatten”. Die Scharî’a regelt
das Verhältnis der Menschen untereinander und zu Gott. Sie umfasst
nicht nur straf- und zivilrechtliche Regelungen, sondern auch die ibâdât,
die fünf Säulen (Glaubensbekenntnis, rituelles Gebet, Fasten im
Monat Ramadan, Sozialabgabe und Pilgerfahrt), Speisegebote,
Verhalten im Feindesland oder im Land des Vertrags etc. Sie ist aber
kein vorliegender Gesetzeskodex.
Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts? Vereinfacht dargestellt sind es diese nicht mit letzter
Rechtssicherheit beantworteten Probleme, warum die Anerkennung des
Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts bis heute in keinem
Bundesland erfolgt ist. Ebenso ist keine dauerhafte Regelung für
islamischen Religionsunterricht erreicht, obwohl dies ein
garantiertes Grundrecht ist und Konsens darüber zu herrschen
scheint, dass die muslimischen Kinder in ihrer religiösen Identität
gefestigt werden müssen, ein Gedanke, den auch – vielleicht
nicht ganz uneigennützig – die Kirchen beider christlicher
Konfessionen massiv unterstützen.30 „Knackpunkt“ ist die Frage der Menschenrechte Alle islamischen Organisationen in Deutschland wird man vor allem an der Frage der Menschenrechte zu messen haben, insbesondere auch hinsichtlich der Stellung der Frau und der Religionsfreiheit, ob z. B. Muslime zu einer anderen Religion konvertieren dürfen, und an deren Umgang z. B. mit den missionierenden Ahmadis und den Aleviten oder Atheisten. Grundsätzliche rechtlich-religiöse Fragen werfen die „Mischehen“ auf. Das Tierschutzwidrige Schächten ohne Betäubung wird ausnahmslos von allen Vereinigungen gefordert, obwohl innerislamisch Kurzzeit-Betäubung gestattet ist, oder die Teilnahme an mehrtägigen Klassenfahrten32 und am koedukativen Schulsport.33 Alle Vereinigungen treten außerdem für eine grundgesetzwidrige rigide Geschlechtertrennung ein. Der Kopftuch-Streit Am Beispiel „Kopftuch für Lehrerinnen“ entbrannte ein noch immer währender Rechtsstreit. Der Fall der Fereshteh Ludin in Baden-Württemberg ist das bekannteste Beispiel; dagegen darf eine Lehrerin mit Kopftuch seit 2000 in Lüneburg in Niedersachen unterrichten. Namhafte Gelehrte wie der ägyptische Religionsminister Dr. Hamdi Zakzouk erkennen keinen Schleier- bzw. Kopftuchzwang in der Religion.34 Die islamischen Organisationen in Deutschland sehen aber das Kopftuch als religiöse Pflicht an, mit der einzigen Ausnahme der größten, rein türkisch-staatlichen Organisation DITIB, weil in der Türkei Parlamentarierinnen und Lehrerinnen bzw. Hochschullehrerinnen sowie Angestellten im öffentlichen Dienst das Tragen des Kopftuchs verboten ist. Wäre das Kopftuch-Tragen religiöse Pflicht, so würden sich die meisten Musliminnen in Deutschland versündigen. Um dennoch derartige Vorstellungen durchzudrücken, werden mit System Musterprozesse geführt, um mit Präzedenzfällen den Durchbruch zu erzielen.35 Dass man hier in Deutschland bereits weiter vorangekommen sei als in der Türkei, wird immer wieder herausgestellt. Deutschland ist eine Spielwiese der Islamisten geworden mit besseren Möglichkeiten als in allen islamischen Herkunftsländern.36 „Als Menschen akzeptiert werden” Es geht zunächst generell um den Schutz der muslimischen
Mehrheit vor islamistischen Ansprüchen. Es geht aber auch um den
Schutz des deutschen Staates vor dem Anspruch von Minderheiten auf
Rechte, die zu Lasten der allgemeinen Mehrheit gehen könnten. Es könnte
eine Situation entstehen, in der die Religionsfreiheit gefährdet
ist oder in der zumindest der einschlägige Grundgesetzartikel
klarer definiert werden müsste, eventuell unter Festschreibung
dessen, was „Religionsfreiheit“ im deutschen Grundgesetz
beinhaltet.
Fußnoten 1 Drucksache 14/4530 vom 8. 11. 2000 im Umfang von 93 Seiten. Zur Diskussion siehe http://www.islam.de/sections/servicepoint/downloads/files/protokoll_ islam_bundestag.log 2 Kenntnisreich ist die Broschüre von Claudia Dantschke/Ali Yildirim/Eberhard Seidel: Politik im Namen Allahs. Der Islamismus – eine Herausforderung für Europa, die im September 2000 von Ozan Ceyhun herausgegeben und über Die Grünen im Europäischen Parlament zu ordern ist. 3 Ob diese Angabe der Realität nahekommt, lässt sich angesichts etlicher fragwürdiger Angaben über Mitgliederzahlen nicht ausmachen. 4 Der größte alevitische Verband ist AABF (Avrupa Alevi Birlikleri Federasyonu, Föderation der Alevitengemeinden in Europa) mit Sitz in Köln. 5 Die Zahlen stammen von der Ahmadiyya Muslim Jamaat mit Sitz in Frankfurt. 6 Zu der Gesamtproblematik siehe Ursula Spuler-Stegemann: Muslime in Deutschland. Nebeneinander oder Miteinander? Freiburg–Basel–Wien 1998. 7 Diese Angabe basiert auf der Addition der in 12 Jahren (1988–1999) rund 460 000 aus islamischen Ländern eingebürgerten Menschen, wahrscheinlich überwiegend Muslime, darunter 140 605 Türken, zuzüglich geschätzte Einbürgerungszahlen aus der Zeit vor 1988. 8 Siehe im Detail Thomas Lemmen: Islamische Organisationen in Deutschland. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn Juli 2000. 8 Siehe im Detail Thomas Lemmen: Islamische Organisationen in Deutschland. Hrsg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn Juli 2000. 9 VIKZ gibt außerdem die Zahl 80 000 für „Gemeindemitglieder“ an. 10 Dazu der Deutschland-zentrierte Beitrag von U. Spuler-Stegemann: Zwischen Fundamentalismus und Pluralismus: Zum Spannungsfeld Islam-Islamismus. In: R. Weeth (Hrsg.): Bekenntnis zu dem einen Gott? Christen und Muslime zwischen Mission und Dialog. Neukirchen-Vluyn 2000, S. 123–128. 11 Die Selbstdarstellung findet sich unter http://www. islamrat.de. Das Ergebnis der Vorstandswahl am 2. Juni 2001 bestätigt die engen Verbindungen zwischen Islamrat und IGMG. 12 Zum Zahlen-Chaos siehe Th. Lemmen, op. cit. S. 43, Anm. 96. 13 Der Parteivorsitzende Recai Kutan erklärte laut „Milli Gazete“ vom 5. 9. 2001: „Wir werden uns nicht ändern; wir werden verändern. 14 Nachzulesen unter http://www.verfassungsschutz. de/arbeitsfelder/ausland/page.html’6a. 15 So: http://www.baden-württemberg.de/verfassungsschutz/inhalt.php?ID=573. 16 Zu den Schriften des Holocaust-Leugners Harun Yahya siehe die Selbstdarstellung http://www. harunyahya.org/de/autor.html. 17 Dieser Beitrag stammte von Stefan Meining und Ahmet S¸enyurt. 18 Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland. Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen. Eine Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Gütersloh. 2000, S. 19. Die Empfehlung, leerstehende Kirchen an Moschee-Vereine zu verkaufen (S. 116f.), bezieht automatisch auch die IGMG ein. 19 Dazu Ursula Spuler-Stegemann: Wider die Blauäugigkeit. In „taz“ vom 8.6.2000. 20 ATIB hat nach eigenen Angaben 20.000 Gemeindemitglieder. Siehe dazu: http://www.atib-web.de. Derartige Zählungen sind problematisch, weil sie wahrscheinlich nicht die eingetragenen Mitglieder angeben. Deshalb ist die unter sehr attraktiven neuen Webseite http://www.islam.de zu findende Mitglieder-Liste mit der Angabe von 11 000 ATIB-Mitgliedern vermutlich realistisch. 21 Die Selbstdarstellung ist im Internet unter http:// www.vikz.de zu finden; ferner: Verband der Islamischen Kulturzentren: Der kurzgefasste Ilmihal. Illustriertes Gebetslehrbuch. Köln 1998. 22 Siehe dazu: Zusammenleben mit den Muslimen [Anm. 17], S. 18 und sehr viele Dialogveranstaltungen. 23 Siehe z. B. die Artikel des hervorragenden Experten für islamische Wirtschaft Ahmet S¸enyurt; „Der Schatz der Gastarbeiter“ WDR 3 Hörfunk, in: Kritisches Tagebuch, am 28.1.2000, 19.00 Uhr, und mit einem Interview mit dem auf Holdings spezialisierten Rechtsanwalt A. Ülger in: „Etap“ 3/2000, oder A. S¸enyurt/Claudia Dantschke: „Die Pyramide bröckelt”, in: „pers¸embe“ vom 14. 7. 2000. 24 Siehe dazu Bassam Tibi: Der Islam in Deutschland. Muslime in Deutschland. Stuttgart–München 2000, S. 325–349. 25 Andreas Meier: Der politische Auftrag des Islam. Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der islamischen Welt. Wuppertal 1994. Erdmute Heller/Hassouna Mosbahi: Islam, Demokratie, Moderne. Aktuelle Antworten islamischer Denker. München 1995. Gudrun Krämer: Gottes Staat als Republik. Reflexionen zeitgenössischer Muslime zu Islam, Menschenrechten und Demokratie. Baden-Baden 1999. So auch im „Rundbrief der Deutschen Muslim-Liga“ vom März/April 1998, in dem Abdullah Borek die Muslime auffordert, sich an Wahlen zu beteiligen; ferner das beachtenswerte Buch von Murad Wilfried Hofmann: Der Islam im 3. Jahrtausend. Eine Religion im Aufbruch. Kreuzlingen 2000, S. 107–130. 26 Smail Balic: Der Islam-europakonform? Religionswissenschaftliche Studien 32. Würzburg-Altenberge 1994, weist Ansätze auf, die aber – soweit ich sehe – als „säkular“ abgeurteilt werden. 27 Dazu Heiner Bielefeldt: Muslime im säkularen Rechtsstaat. In: Der interkulturelle Dialog Heft 2. Hrsg. von der Ausländerbeauftragten des Landes Bremen. Bremen 1999. 28 „Moslemische Revue“ 2/1999, S. 113 29 Dazu Mathias Rohe: Der Islam – Alltagskonflikte und Lösungen. Rechtliche Perspektiven. Freiburg–Basel– Wien 2001, S. 122 und Anm. 297. 30 Islamischer Religionsunterricht: Stellungnahme des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz vom 22. 1. 1999, und Religionsunterricht für muslimische Schülerinnen und Schüler. Eine Stellungnahme des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hannover. 16.2.1999. 31 Eine Ausnahme bilden die DITIB-Imame und Religionslehrer, weil sie an staatlichen türkischen Universitäten ausgebildet wurden. 32 Dazu Ahmet S¸enyurt: Bei km 82 endet die Freiheit. „taz“ vom 13.7.2000. 33 Zur hiesigen Rechtssituation siehe Adel Th. Khoury/ Peter Heine/Janberd Oebbecke: Handbuch Recht und Kultur des Islams in der deutschen Gesellschaft. Gütersloh 2000, die Kap. VI und VII sowie Mathias Rohe: op. cit [Anm. 28]. 34 Siehe dazu das Interview mit Zakzouk im „Spiegel“ 23/2. 6. 2001, S. 180. 35 DIF: SchleierHaft. Zur Situation muslimischer Kinder und Jugendlicher in Schule und Ausbildung. Köln 1996, bietet gute Einblicke in die Methodik, entsprechende Gerichtsurteile zu provozieren. 36 Siehe Werner Schiffauer: Die Gottesmänner. Türkische Islamisten in Deutschland. Frankfurt a. M. 2000.
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